Ortsunabhängige Nachfolge: Neue Arbeitswelten, neue Wege

Bild: Prof. Dr. Alexander Zureck
1. Einleitung: Alte Modelle – neue Realitäten
Unternehmensnachfolge war lange ein lokales Thema: Die Übergabe fand meist vor Ort statt – oft sogar im selben Ort. Doch diese Realität verändert sich. Die nächste Generation ist global vernetzt, lebt flexibel und arbeitet ortsunabhängig. Damit ändern sich auch die Anforderungen an Nachfolgeprozesse, Führungsmodelle und Eigentumsstrukturen.
Laut einer Studie von XING (2023) wünschen sich über 70 % der 18- bis 34-Jährigen mehr zeitliche und örtliche Flexibilität im Arbeitsalltag. Gleichzeitig denken mehr als die Hälfte laut Deloitte über ein Sabbatical nach – zur Regeneration, Weiterbildung oder Neuorientierung.
Auch Führung wird neu gedacht: Der Deloitte Global Gen Z and Millennial Survey zeigt, dass 62 % der Befragten von ihren Vorgesetzten eher Mentor:innen als klassische Autoritäten erwarten. In einer onlyfy/XING-Umfrage (2023) nannten 86 % der Generation Z „zeitliche und örtliche Unabhängigkeit“ als zentralen Attraktivitätsfaktor eines Unternehmens.
2. Die nächste Generation: Digital, mobil, international
Die potenziellen Nachfolger:innen von heute denken global, handeln flexibel und unterscheiden sich in ihren Vorstellungen deutlich von klassischen Führungsmodellen. Viele haben im Ausland studiert, pflegen internationale Netzwerke und arbeiten projektbasiert sowie remote.
Statt den festen Schreibtisch im elterlichen Betrieb zu übernehmen, möchten sie Unternehmen von San Francisco, Lissabon oder Kapstadt aus führen. Was disruptiv klingt, eröffnet enormes Potenzial – für Innovation, internationale Expansion und frische Impulse in etablierten Strukturen.
Auch große Unternehmen reagieren bereits. Bei Bosch etwa erlaubt „Smart Work“ die selbstorganisierte Wahl von Remote- und Präsenzzeiten – auch im Ausland. 3M fördert individuelle Flexibilität, Capgemini unterstützt explizit Sabbaticals und flexible Arbeitszeitmodelle.
Und auch kleinere Unternehmen setzen neue Maßstäbe – etwa die Lebensentdecker GmbH oder Bookminders Inc. (siehe unten). Die Transformation erreicht den Mittelstand.
3. Herausforderungen klassischer Nachfolgemodelle
Traditionelle Nachfolgeprozesse scheitern oft nicht am Willen zur Übernahme, sondern an überkommenen Erwartungen. Präsenzpflicht, starre Hierarchien und unflexible IT-Infrastruktur schrecken viele Nachfolger:innen ab.
Gestaltungsspielraum, Selbstverwirklichung und eine ausgewogene Work-Life-Balance werden wichtiger. Diese umfassen flexible Arbeitszeiten und -orte, sinnstiftende Aufgaben, Weiterbildungsangebote, kreative Freiräume, Mentoring sowie ein gesundes, unterstützendes Arbeitsklima.
4. Neue Wege der Übergabe – neue Rollenbilder
Was wäre, wenn Unternehmensnachfolge nicht mehr auf persönliche Anwesenheit angewiesen wäre? Wenn Eigentum, operative Steuerung und strategische Führung flexibel verteilt und Übergaben als dynamischer Prozess gedacht würden?
Möglich sind virtuelle Onboarding-Phasen, flexible Beteiligungsmodelle und Mentoring statt abruptem Machtwechsel. Rollen können aufgeteilt, Stärken betont, Übergänge sanft gestaltet werden. Digitalisierung eröffnet hier neue Chancen.
5. Interkulturelle Perspektiven mitdenken
Gerade in internationalen Familienunternehmen gilt: Interkulturelle Kommunikation, unterschiedliche Rechtsrahmen und kulturelle Wertvorstellungen müssen berücksichtigt werden.
Ein deutsch-amerikanischer Nachfolger bringt womöglich nicht nur eine neue Sprache mit, sondern auch ein anderes Führungsverständnis oder eine andere Risikobereitschaft – allesamt potenzielle Innovationsimpulse.
6. Workshopformate und Coaching als Schlüssel
Moderne Coaching- und Trainingsformate unterstützen Unternehmen dabei, Nachfolgeprozesse gemeinsam zu gestalten – auf Augenhöhe. In strukturierten Workshops werden Erwartungen geklärt, digitale Führungsmodelle erarbeitet und zukunftsorientierte Rollenbilder entworfen.
Internationale Fallbeispiele zeigen, dass ortsunabhängige Führung längst Realität ist. Die Lebensentdecker GmbH (Deutschland) bietet remote Buchhaltungsservices mit dezentralem Team. Bookminders Inc. (USA) ist vollständig digital organisiert und führt Kundenprojekte remote durch. MySwimPro Inc. wird vom CEO von zwei Kontinenten aus geführt – ein Modell für globale Nachfolge.
7. Fazit: Wer nachfolgen will, muss nicht stillstehen
Nachfolge muss sich an die Lebenswirklichkeit der Nachfolger:innen anpassen – nicht umgekehrt. Unternehmen, die das verstehen, eröffnen sich neue Chancen: Für Innovation, globale Skalierung und ein nachhaltiges, generationenübergreifendes Miteinander.