Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) quo vadis?
Kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) sind in Bezug auf Größe, Alter, Branche, Eigentum und Geschäftsmodell in der Regel äußerst individuell. Hinzu kommt, dass meist keine marktbezogenen Vergleichsdaten vorliegen. Somit ist die Unternehmensbewertung von KMU ein komplexer Prozess, der sich in diversen Aspekten von der Wertermittlung großer börsennotierter Unternehmen unterscheidet. Für die Bewertung von KMU wird noch immer nach einem zufriedenstellenden und einheitlichen Verfahren gesucht.
Gleichzeitig wächst die Zahl der Unternehmenstransaktionen im KMU-Bereich und somit auch der Bedarf an Bewertungen, welche die Besonderheiten von KMU angemessen berücksichtigen.
Im Rahmen einer Metaanalyse haben wir den Stand der Wissenschaft und Praxis der KMU-bezogenen Unternehmensbewertung beleuchtet und geben in diesem Leitartikel einen Kurzüberblick.
Einführung
Kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) bilden in jeder Volkswirtschaft, egal ob in Industrie- oder Entwicklungsstaaten, den größten Wirtschaftssektor und nehmen somit weltweit eine bedeutende Rolle ein.1 99,5 % aller Unternehmen in Deutschland sind gemäß der Definition der EU-Kommission klassische „kleine und mittlere Unternehmen (KMU)“.2
Sie sind in Bezug auf Größe, Alter, Branche, Eigentum und Geschäftsmodell in der Regel äußerst individuell. Hinzu kommt, dass für den Bewerter meist keine marktbezogenen Vergleichsdaten vorliegen. Aufgrund dieser Besonderheiten ist die Bewertung von KMU ein komplexer Prozess, der sich in diversen Aspekten von der Wertermittlung großer börsennotierter Unternehmen unterscheidet.3
Die Unternehmensbewertung ist insgesamt ein viel diskutiertes Thema. In Praxis, Theorie und Rechtsprechung werden verschiedene Vorgehensweisen, Richtlinien und Standards vorgestellt, um anlassbezogen eine sachgerechte Wertermittlung durchzuführen.4 Diese sind grundsätzlich nicht an die Größe eines Unternehmens gebunden. Allerdings sind ihre Prämissen überwiegend von der Bewertung großer kapitalmarktorientierter Unternehmen geprägt.5 Für die Bewertung von KMU wird daher noch immer nach einem zufriedenstellenden und einheitlichen Verfahren gesucht.6 Aus Gründen wie beispielsweise der Nachfolgeproblematik ist die Zahl der Unternehmenstransaktionen bei KMU in den vergangenen Jahren gestiegen.7 Auch für die nächsten Jahre wird eine Fortführung dieses Aufwärtstrends erwartet.8 Im Rahmen einer Metaanalyse haben wir den Stand der Wissenschaft und Praxis der KMU-bezogenen Unternehmensbewertung beleuchtet und geben in diesem Leitartikel einen Kurzüberblick
Ziel der Analyse
Im folgenden Leitartikel werden zunächst nur die wesentlichen Ergebnisse der im Zeitraum Januar bis Mai 2022 durchgeführten Auswertung zusammengefasst. Da zum Thema der KMU-bezogenen Unternehmensbewertung zahlreiche Literaturbeiträge existieren, wurden ausgewählte Artikel mit Hilfe einer Metaanalyse untersucht und die Ergebnisse stark zusammengefasst dargestellt. Dafür wurden zunächst die Grundlagen von KMU sowie der Unternehmensbewertung insgesamt betrachtet. Anschließend wurde die Metaanalyse durchgeführt. Die für die KMU-Bewertung relevanten Bewertungsmethoden und die zu berücksichtigenden Besonderheiten wurden dabei fokussiert. Im Rahmen weiterer Fachbeiträge ist geplant auf einzelne Besonderheiten näher einzugehen. Abschließend wurden auch die Einflüsse der Digitalisierung auf die Unternehmensbewertung sowie auf die im Rahmen der Untersuchung vorgestellten Verfahren thematisiert, da sich digitale Veränderungen heute und zukünftig durch verschiedene Aspekte auch auf die Bewertung von Unternehmen auswirken werden. Die Metaanalyse wurde im Rahmen einer Masterarbeit in Kooperation mit der Universität Paderborn durchgeführt.
Grundlagen der Analyse
In den Schritten der Erfassung und ersten Einordnung der Fachliteratur wurde erkennbar, dass die einzelnen Artikel hinsichtlich ihres konkreten Themas durchaus verschieden sind und oberflächlich in das Themengebiet der KMU-Bewertung einzuordnen sind. Insgesamt wurden rund 50 Quellen und Artikel einbezogen. Einige Autoren beschreiben die Besonderheiten von KMU im Allgemeinen oder im Kontext aktuell relevanter Bewertungsverfahren. Andere konzentrieren sich auf ausgewählte Bewertungsmethoden, Bewertungsparameter und ihre Anwendung bei KMU. Wiederum andere beschäftigen sich lediglich mit einzelnen Komponenten wie der Sinnhaftigkeit von Zu- oder Abschlägen für KMU-Besonderheiten.9 Außerdem ist anzumerken, dass die vorhandene Literatur vor allem im deutschsprachigen Raum überaus praxisnah ist und tiefgründige theoretische Analysen lediglich vereinzelt vorzufinden sind.10 Ein direkter Vergleich aller Artikel im Sinne der Metaanalyse ist somit eher schwierig, denn für diese sind qualitativ hochwertige, quantitative und vor allem uniforme Untersuchungen notwendig.11 Unter Berücksichtigung dieser Problematik wurde im Rahmen der Metaanalyse so gearbeitet, dass auf bestmögliche Weise die einzelnen Inhalte der Fachartikel verglichen und anschließend konzentriert und thematisch geordnet wiedergegeben werden können.
Die Suche nach Fachliteratur zum Thema KMU-Bewertung lieferte vor allem Ergebnisse aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum, jedoch auch vereinzelt Artikel aus Asien oder Südamerika. In einer ersten Analyse der erfassten Fachliteratur wurde deutlich, dass die Bewertung sich zwischen den einzelnen Staaten unterscheidet. Die US-amerikanische Bewertungspraxis greift für die Bewertung von KMU beispielsweise auf mehr oder weniger präzise ausgewählte Abschläge zurück.12 In der deutschsprachigen Theorie ist diese Vorgehensweise hingegen umstritten.13 Aufgrund der deutlichen internationalen Unterschiede und des Ziels einer klaren Übersicht über die Bewertung von KMU wurden im Rahmen der Analyse fast ausschließlich deutschsprachige Fachartikel ausgewählt. Auch die bereits dargestellten rechtlichen Grundlagen haben sich lediglich auf Deutschland konzentriert, sodass die Theorie der KMU-Bewertung dem nun entsprechend folgt. Vergleiche zu Vorgehensweisen in anderen Staaten wurden an einigen Stellen lediglich zur Verdeutlichung genannt./p>
Durch die Analyse der ausgewählten Fachartikel konnten zahlreiche Informationen hinsichtlich der Anwendung von Bewertungsmethoden auf KMU sowie der zu berücksichtigenden Eigenschaften erlangt werden. Eine Bewertung von KMU, exakt so wie sie bei Großunternehmen angewandt wird, schließen die Autoren aus, da es für KMU typische Besonderheiten zu berücksichtigen gibt.14
Wesentliche Erkenntnisse der Analyse
Bereits die Definition von KMU ist nicht eindeutig geklärt, sodass sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene keine einheitliche Bezeichnung vorliegt. Im deutschsprachigen Raum findet die Ausrichtung häufig an der Definition der EU-Kommission aus 2003 statt. Danach zählt ein Unternehmen zu den KMU, wenn es nicht mehr als 249 Beschäftigte hat und einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen € erwirtschaftet oder eine Bilanzsumme von maximal 43 Millionen € aufweist.15
Ebenfalls keine grundlegenden Vorgaben gibt es von Seiten des deutschen Gesetzgebers in Bezug auf die Unternehmensbewertung. Lediglich bei erbschaft-, ertrag- und schenkungssteuerlichen Bewertungsanlässen oder im Pflichtteilsrecht ist diese gesetzlich grundsätzlich festgelegt. So sind hier beispielhaft das vereinfachte Ertragswertverfahren und insbesondere die Modifizierte Ertragswertmethode hervorzuheben. Letzterer liegt mit dem Standpunkt 11-2017 des BVS ein eigener standardähnlicher Leitfaden zu Grunde.16 Zu allen anderen (rechtlichen) Anlässen unterliegt die Entscheidungsmacht somit bei den Bewertern sowie gegebenenfalls bei den Gerichten. Diese stützen sich in der Regel auf berufsständige Normen und Richtlinien wie den IDW S 1 oder die Modifizierte Ertragswertmethode.
Einig ist sich die Literatur in dem Aspekt, dass bei KMU im Vergleich zu Großunternehmen gewisse Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Anhand der durchgeführten Metaanalyse konnte aufgezeigt werden, dass ein Großteil der Autoren der ausgewählten Fachliteratur besondere Merkmale wie eine hohe Personenbezogenheit, einen Mangel an Fungibilität und Vergleichsunternehmen sowie unzureichende Daten und erhöhte Risiken in KMU sehen. Wie jedoch damit im Detail methodisch umzugehen ist, wird oftmals nicht hinreichend detailliert und einheitlich präzisiert. Vielmehr gibt es berufsständisch unterschiedliche Auffassungen und Herangehensweisen der Bewerter.
Wiederum gespalten fallen jedoch die Meinungen zur Berücksichtigung dieser Besonderheiten im Bewertungsprozess aus. Für die Bewertung eines Unternehmens kann zwischen zahlreichen Verfahren gewählt werden. Obwohl die Methoden grundsätzlich für börsennotierte Unternehmen konzipiertwurden, können sie grundsätzlich auch bei der KMU-Bewertung Anwendung finden. Dies gilt insbesondere für den Standard des IDW S1 i.d.F. 2008.
In der untersuchten Fachliteratur beziehen die Autoren auf unterschiedliche Weise Stellung zu diesen Methoden. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Bewertungsmethoden, die in den meisten Artikeln erwähnt werden und veranschaulicht, wie häufig diese als geeignet oder ungeeignet für die Anwendung auf KMU eingestuft werden. Einige Autoren erläutern ausschließlich die Vorgehensweise einzelner Verfahren (neutral), andere üben direkte Kritik (negative Resonanz) oder heben Stärken hervor (positive Resonanz). Es ist anzumerken, dass die Einordnung der qualitativen Artikel anhand subjektiver Kriterien bestmöglich durchgeführt wurde.