Töchter in der Unternehmensnachfolge

Welche Rolle spielen tradierte Rollenbilder und was bedeutet es, Familie und Unternehmen in Einklang zu bringen?Töchter in der Unternehmensnachfolge
Über Nachfolgerinnen in Führungspositionen von Familienunternehmen zu sprechen, heißt anzuerkennen, dass sich in den vergangenen zehn, 15 Jahren sehr viel getan hat, um hergebrachte, patriarchal geprägte Muster zu überwinden. Der Automatismus, dass der älteste Sohn die Firma übernimmt, ist von professionelleren Rekrutierungsprozessen abgelöst worden. Ausnahmen mag es immer noch geben, doch die weiblichen Angehörigen der NextGen sind qualifiziert und selbstbewusst genug, um einzufordern, was ihnen zusteht: bei gleicher Eignung ebenso ernsthaft für die Position an der Spitze in Betracht gezogen zu werden wie ihre Brüder und Cousins.

Den Staffelstab zu übernehmen, ist das eine. Das andere ist aber, die Vielfalt an sehr konkreten Fragestellungen zu bewältigen, die sich in ganz besonderer Weise an weibliche Nachfolger richten. Weder eine Familie noch ein Unternehmen sind neutral gegenüber dem Geschlecht der Person an der Spitze (und zugunsten der Kürze meiner Ausführungen sei es gestattet, dass ich mich hier auf ein binäres Geschlechterverhältnis beziehe). Studien, die wir am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) durchgeführt haben, aber auch viele Gespräche mit Nachfolgerinnen unterstreichen, wie bedeutsam der Einfluss der eigenen Familie für die Nachfolgebereitschaft von Töchtern ist.

Bereitschaft zur Nachfolge ist nicht das Ergebnis einer kurzfristigen Entscheidung, sondern Ergebnis eines Prozesses, der in der frühen Kindheit beginnt. Heutzutage werden nicht mehr nur die Söhne zu Werkbesichtigungen mitgenommen, während die Töchter spielen „dürfen“, doch die Einflüsse sind oft unterschwelliger. Wer hilft eigentlich der heranwachsenden Tochter bei der Klärung der Frage, was eine gute Tochter ist: eine karrierebewusste junge Frau mit Ambition auf die Unternehmensführung? Oder eine Frau, die als Mutter den Fortbestand der Unternehmensfamilie sichert? Und wenn beides: Wie lässt sich das vereinbaren?

Die Auseinandersetzung mit dem Selbstbild und den eigenen Lebenswünschen und -plänen sowie den Erwartungen anderer (von den Eltern bis zur Belegschaft des Unternehmens) bedarf der Zeit, der Offenheit und manchmal auch einer Beratung durch Dritte, um aus dem Dickicht der zu vielen und manchmal auch widersprüchlichen Erwartungen herauszufinden. Nicht unterschätzt werden sollte der Einfluss der Mütter und Großmütter aus der derzeitigen MidGen oder der Seniorgeneration. Für sie kann die Tochter resp. Enkelin als Geschäftsführerin eine Provokation sein, wenn sie dies rückwirkend als Entwertung ihres einst gewählten (oder hingenommenen) Lebensmodells als Nur-Mutter und Nur-Frau-an-seiner-Seite betrachten.

Wenn eine potenzielle Nachfolgerin trotz ihrer unbestreitbaren Eignung das unbestimmte Gefühl hat, dass ihr der Rückhalt der Familie fehlt, kann in einer solchen vermeintlichen Kränkung ihrer Mutter die Ursache zu finden sein. Es mag banal klingen, doch es kann nicht deutlich genug gesagt werden, wie unverzichtbar die vorbehaltlose Ermutigung durch die Familie für eine Nachfolgerin ist. Weibliche Nachfolge ist in vielen Unternehmerfamilien ein Musterbruch. Das heißt, dass es derzeit noch (zu) wenige Rollenvorbilder gibt und die Nachfolgerinnen aus der jetzigen NextGen den Weg bahnen müssen für die Nachfolgerinnen, die nach ihnen kommen.

Beim Blick auf die Nachfolgebereitschaft fällt uns in der Familienunternehmensforschung als genereller Trend auf, dass die Bereitschaft, in die Fußstapfen des (meist noch) Vaters zu treten, deutlich rückläufig ist – nicht nur, aber auch in Deutschland mit seinem oft gerühmten Mittelstand. Das einst ausgeprägte Pflichtgefühl gegenüber dem Unternehmen wird lockerer, die NextGen favorisiert Karrierewege, die sich mit ihrem Lebensmodell besser vertragen. Viele potenzielle Nachfolger und Nachfolgerinnen gründen lieber ihr eigenes Unternehmen, andere verfolgen einen Lebenstraum fern von einer unternehmerischen Tätigkeit, manche leben am anderen Ende der Welt und sind dem Familienunternehmen nur noch als Gesellschafter verbunden.

Das Familienunternehmen in 3., 4., 5. Generation, verwurzelt in einer Klein- oder Mittelstadt irgendwo in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz oder Bayern, bietet der NextGen oft nicht das Umfeld, an das sie durch ihr Studium und ihre ersten beruflichen Stationen gewohnt ist. Dies kann weibliche Nachfolger zögern lassen. Dass es nicht leicht sein wird, sich an der Spitze des Unternehmens zu bewähren, ist zu erwarten (das ist wohl für jede Führungskraft in jedem Unternehmen so). Aber wie wird es sein, unter den aufmerksamen Blicken der ganzen Stadt junge Chefin des vielleicht größten Arbeitgebers am Ort zu sein? Was bleibt von der persönlichen Freiheit, wenn von Kleidungsstil, der Wahl des Autos bis zum Freundeskreis alles unter Beobachtung ist? Werde ich einen Partner finden, der mir von Berlin oder London in meine kleine Heimatstadt folgt? Und wenn ich am Ort jemanden kennenlerne – bin ich dann bloß eine gute Partie?

Für die jungen Top-Managerinnen im eigenen Familienunternehmen ist die Partnerwahl eine delikate Frage und wie oft hier suboptimale Entscheidungen getroffen werden, zeigt die sehr hohe Scheidungsquote in der Gruppe der operativ tätigen Nachfolgerinnen. Zwei Gefahrenzonen tun sich hier auf. Häufig richtet sich in der Partnerwahl das „Beuteschema“ am Vater aus. Er ist erfolgreicher Unternehmer, also soll auch der Zukünftige so sein.

Das hört sich plausibel an, kennen und verstehen doch beide Partner die Herausforderungen in Unternehmerfamilien und Familienunternehmen. Auf die Probe gestellt wird die Partnerschaft zweier Nachfolger, wenn Konkurrenz entsteht – entweder, weil nicht beide Unternehmen auf Dauer die gleiche Priorität haben können, oder dann, wenn die Frage auftaucht, wer sich denn um die Kinder kümmern wird. Hier ist eine Sollbruchstelle, die – leider – der Belastung oft nicht standhält und bricht.

Die zweite Gefahr entwickelt sich, wenn der Ehemann auf seine Karriere verzichtet und zuhause bleibt. Für Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler mag eine solche Entscheidung durchaus möglich sein. Aber auch wenn diese Variante oft pflichtschuldig begrüßt wird, in der Praxis wird solch ein Partner die Erfahrung machen, dass er (gerade von den dominanten Unternehmerfiguren in seinem Umfeld) als „Softie“ belächelt und keineswegs als „echter Mann“ akzeptiert wird. Hinzu kommt ein gravierendes Gefälle an öffentlicher Aufmerksamkeit, vor allem aber ein Gefälle an Einkommen und Vermögen. „Women marry up“ heißt es, doch für Männer ist ein gesellschaftlicher und ökonomischer Aufstieg qua Heirat nicht vorgesehen.

Das lässt sich nicht einfach wegstecken, zu stark wirken die tradierten Rollenbilder. Gar nicht selten kommt es dazu, dass ein Unternehmerinnengemahl, der sich in einer inferioren Rolle fühlt, diese von ihm (und nicht ganz zu Unrecht) empfundene Abwertung dadurch zu kompensieren beginnt, dass er seine Frau, ihre Aktivitäten, ihr Verhalten und mitunter ihre Weiblichkeit massiv abwertet.

Hier können hochproblematische Situationen entstehen. Über all diesen Überlegungen und Erwägungen vergeht Zeit, Unklarheiten können hemmen, Unsicherheiten mutlos machen. Doch bekanntlich nehmen Karrieren gerade in der Lebensphase Fahrt auf, wenn auch die Zeit für die Familiengründung gekommen ist. Hier wird die Situation übrigens auch für die Väter und Großväter der Nachfolgerinnen widersprüchlich. Natürlich wünschen sie sich den Fortbestand der Familie. Genauso ausgeprägt ist aber oft auch eine über lange Zeit entstandene Familienunfreundlichkeit (oder -gleichgültigkeit), die mit der Einrichtung einer Betriebs-Kita und dem Mitbringen der Kinder zum Sommerfest keineswegs behoben ist.

Die Tochter will nicht die Niederlassung in Brasilien aufbauen, weil sie nun ein Kind bekommen möchte? Warum will sie ihr Kind nicht von einer Nanny erziehen lassen? Sie verlässt das Vertriebsmeeting, weil sie ihr Baby stillen muss …? Muss das alles wirklich sein? Geht denn nicht das Unternehmen vor?

Wie so oft zeigt sich auch an solchen Stellen die Doppelgesichtigkeit des Systems „Familien-Unternehmen“. Um die Schieflage hier kurz zu beleuchten, sei erwähnt, dass nach einer Studie unseres Instituts (Otten-Pappas & Jäkel-Wurzer, 2017) zwar signifikant viele Nachfolger Väter sind, die Nachfolgerinnen demgegenüber mehrheitlich kinderlos sind. Gleichwohl bleibt zu fragen: Wer, wenn nicht die Eigentümerfamilie (und wohlgemerkt: nicht nur deren weibliche Mitglieder), hat die Autorität und Macht, familienfreundliche Organisations- und Führungsstrukturen zu schaffen?

Das reicht von einem teamorientierten Führungsstil, vielleicht mit einem Co-CEO, über flexible Arbeitszeitmodelle bis zur Frage, ob überhaupt manche Dienstreise wirklich nötig ist. Aber auch auf der Seite der Belegschaft sowie der Geschäftspartner müssen sich gegenüber einem weiblichen Boss die Ansichten und Verhaltensweisen ändern. Je nach dem, wie männlich geprägt ein Unternehmen oder dessen ganze Branche ist oder in welchen Regionen der Welt es agiert, wird das nicht immer einfach sein, in der Schwerindustrie herrschen andere Rollenbilder als in der Dienstleistungsbranche.

Ein nicht zu vernachlässigendes Thema mit beachtlicher Auswirkung auf das Unternehmen sind zudem die internationalen Beziehungen von Nachfolgern und Nachfolgerinnen. Studium im Ausland, Praktika – es gibt viele Gelegenheiten, internationale und interkulturelle Liebesbande zu knüpfen. Man verständigt sich auf Englisch und fühlt sich ebenbürtig. Doch die Bewährungsprobe steht da noch aus. Die Rollenerwartungen an Frauen und an Männer sind in Deutschland andere als in Schweden, diese wiederum unterscheiden sich von denen in der Türkei und diese von denen in Japan.

Dass der (selbst auch beruflich qualifizierte) Ehemann zugunsten der Karriere seiner Frau zurücksteckt, ist auch im Jahr 2022 keineswegs in aller Welt selbstverständlich und respektiert. Je nach Familie und deren etablierter Governance sehen sich Nachfolger vor einer Heirat mit ganz unromantischen Fragen konfrontiert. Das Gespräch über einen Ehevertrag, auf den die Anwälte pochen, stellt Nachfolgerinnen in vielen Fällen noch mehr auf die Probe als Nachfolger, unterstreicht dies doch besonders deutlich, wer in der Beziehung das (ökonomische) Sagen haben wird.

Jede Unternehmerfamilie, die in ihrer Familienstrategieentwicklung diese Fragen geklärt hat, ist zu beglückwünschen, denn sie legitimiert mit ihrem familieneigenen Regelwerk solche nüchternen Vorgehensweisen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, sie halte den Bräutigam für einen Mitgiftjäger. Wie in allen Fällen, in denen die Systeme Familie, Eigentum und Unternehmen aufeinandertreffen, sind auch beim Thema „Töchter in der Nachfolge“ frühzeitige Überlegungen und Maßnahmen entscheidend für den Erfolg.

Das beginnt bei der Erziehung, führt hin zur Vorbereitung der Kinder, des Gesellschafterkreises und auch des Unternehmens auf die (weibliche) Nachfolge und umfasst auch die überaus ratsame Entwicklung einer Familienstrategie und einer Familienverfassung, in der ohne Färbung durch Sympathie oder Antipathie allgemeingültige Regeln für die Unternehmerfamilie festgelegt werden.

Auf solch einem tragfähigen Fundament können die Nachfolgerinnen (und auch die Nachfolger) ihre persönlichen Entscheidungen in Einklang mit den Interessen des Unternehmens bringen.

Nach oben

Gastautor

Tom Rüsen
Prof. Dr. Tom A. Rüsen
Geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU)

DUB-Themennewsletter ✉

Mit dem Themennewsletter der Deutschen Unternehmerbörse erhalten Sie alle wichtigen Informationen aus der Welt der Unternehmensnachfolge regelmäßig per E-Mail. Einmal pro Monat senden wir Ihnen Fachbeiträge, Informationen zu aktuellen Veranstaltungen sowie ausgewählte Verkaufs- und Franchiseangebote.

Jetzt abonnieren!