Eine Frage der Governance – wonach differenzieren Kapitalgeber wirklich?

Welchen Wert hat eine vorbildliche Governance-Struktur, wenn die Führung eines Unternehmens nicht im Einklang damit steht? Die Antwort der Kapitalgeber hierauf ist eindeutig: Sie finanzieren bevorzugt solche Kapitalnehmer, die sich sowohl in ihrer Governance-Struktur als auch in der Unternehmensführung positiv vom übrigen Markt abheben und dadurch von nachhaltig niedrigeren Kapitalkosten profitieren.

Was für Publikumsgesellschaften gilt, muss auch für den KMU-Bereich gelten

Normierte Governance-Bewertungen sind flächendeckend meist nur für Publikumsgesellschaften erhältlich. Doch lassen sich die an Wertpapiermärkten gewonnenen Erkenntnisse auch auf nichtbörsennotierte Unternehmen übertragen.

Governance-Bewertungen als Teil von ESG- oder Nachhaltigkeitsprofilen börsennotierter Unternehmen weisen eine ausgeprägte, inverse Korrelation zu Risikokennzahlen auf. Das bedeutet: Sind Unternehmen vorbildlich nachhaltig bewertet, geht das mit einem niedrigen Risikoprofil einher, und das wiederum spiegelt sich nachweislich in attraktiveren Refinanzierungskonditionen seitens ihrer Kapitalgeber wider. Dieses Verhältnis sollte auf das Kreditvergabeverhalten der Banken im KMU-Bereich übertragbar sein.

Anleger an Kapitalmärkten honorieren vorbildliche Governance-Profile
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Am Beispiel europäischer Aktien lässt sich zeigen, dass eine Differenzierung nach Governance-Faktoren die Rendite-Risiko-Verhältnisse von Portfolios nachhaltig gestärkt hat (Abb. 1). Anleger blickten allerdings kritischer auf das Governance-Verhalten als auf die Governance-Struktur.1  Denn wurden Titel gemieden, die negativ durch Fehlverhalten auffielen, ließ sich rückblickend ein größerer Mehrwert für das Portfolio erzielen, als wenn nach der Struktur einer Governance differenziert wurde.    

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Je kleiner die Marktkapitalisierung eines Unternehmens, desto stärker kam dieser Effekt zum Tragen (Abb. 2). Das hat einen bestimmten Grund: Eine risikominimierende Governance-Struktur verändert sich entlang den Entwicklungsphasen eines Unternehmens und folgt nicht zwingend einem linearen Bewertungsmuster. Denn je größer und komplexer ein Unternehmen wird, desto wichtiger ist auch eine starke Governance-Struktur, um der Risiken aus Wertschöpfungsketten und Regularien Herr zu bleiben. Die Einschätzung des Governance-Verhaltens hingegen ist eindeutig: Fehlverhalten wird stets negativ ausgelegt.

Unternehmen, die durch Kontroversen auffallen, zahlen bei der Refinanzierung drauf

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Eine Analyse innerhalb des europäischen Aktienmarktsegments der kleinen und mittelgroßen Marktkapitalisierung zeigt: Es hat sich gelohnt, von Unternehmen Abstand zu nehmen, die wiederholt negativ durch kontroverse Praktiken aufgefallen waren (Abb. 3). Auch lohnte es an dieser Strategie festzuhalten, wenn die Kontroverse bereits publik geworden war. Der dadurch geminderte Unternehmenswert pro Aktie erhöht implizit die Kapitalkosten, wenn eine Refinanzierung in Form von Kapitalerhöhungen über den Aktienmarkt erreicht werden soll. 3

Aktivistische Leerverkäufer haben meist Titel mit schwachem Governance-Verhalten im Visier

Insbesondere für Unternehmen kleiner und mittelgroßer Marktkapitalisierung lässt sich nachweisen: Verstöße gegen Gesetze und das Abweichen von anerkannten Governance-Prinzipien belasten nicht nur den Unternehmenswert, sondern steigern zugleich die Anfälligkeit dafür, Ziel aktivistischer Leerverkaufskampagnen zu werden. 44
Eine Analyse aller knapp einhundert aktivistischen Leerverkaufskampagnen, die europäische Publikumsgesellschaften seit 2010 im Fokus hatten, legt zweierlei offen: Erstens war bei 90 % der Ziele der Börsenwert zum Zeitpunkt des Beginns einer solchen Kampagne geringer als 20 Mrd. EUR. Zweitens ließen sich 60 % dieser Kampagnen ausschließlich auf ESG-Kontroversen zurückführen, wovon mit Abstand die meisten Fälle auf die Governance-Kategorie entfielen. Nahezu alle Zielunternehmen waren im Vorfeld in puncto Governance-Verhalten erheblich schwächer bewertet (Abb. 4).
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Korrigiert um Ausreißer, fielen die Brutto-Überschussrenditen von Aktien der Zielunternehmen gegenüber dem europäischen Aktienmarkt um 15 % (Median), bis sich 18 Monate nach Veröffentlichung der Anschuldigungen ein Boden bildete (Abb. 5). Die Marktkapitalisierung der Zielunternehmen hatte sich bis dahin halbiert. Bei aggregierter Betrachtung ging die Marktkapitalisierung in der Spitze um bis zu 135 Mrd. EUR zurück.
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Doch anders als bei Large Caps (Marktkapitalisierung >20 Mrd. EUR) und Mid Caps (5–20 Mrd. EUR) erholten sich die Kurse der Small Caps (<5 Mrd. EUR), die 60 % aller Zielunternehmen ausmachten, nicht mehr innerhalb von zwei Jahren nach einer Leerverkaufskampagne (Abb. 6).

Fazit: Einhalten von Governance-Codizes und defensiveres Geschäftsmodell können das Risiko senken, Ziel einer Leerverkaufskampagne zu werden

Nahezu alle Zielunternehmen aktivistischer Leerverkaufskampagnen in Europa hatten eine schwache Bewertung in puncto Governance-Verhalten. Mehrheitlich handelte es sich um Wachstumstitel, die aus zyklischen Branchen stammten, mit überdurchschnittlich volatilen Aktienkursen und hohen KGV-Bewertungsmultiplikatoren gegenüber dem breiten Markt. Auch wurden die meisten Titel vom Konsens der Finanzanalysten zum Kauf empfohlen.

Übertragen auf den KMU-Bereich lassen sich zwei Empfehlungen hiervon ableiten:

Das Einhalten von Governance-Codizes sowie führende Kompetenzen im Umgang mit Risiken aus den Themenkomplexen Wettbewerbsverhalten, ethische Grundsätze sowie Korruption sind essenziell, um von attraktiven Refinanzierungskonditionen zu profitieren.

Eine defensivere Ausrichtung des Geschäftsmodelles kann das Risiko senken, Ziel von aktivistischen Leerverkaufskampagnen zu werden. Konkret bedeutet dies, Investitionen in Projekte zu tätigen, die langfristiges, organisches Umsatzwachstum fördern und so den Grundstein für ein stabiles Gewinn-Profil legen. Gleichzeitig sollte der Verschuldungsgrad nicht den optimalen Wert überschreiten, der die Kapitalkosten minimiert.

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Fußnoten

1 Governance-Struktur beschreibt die Beschaffenheit von vier Aspekten: die des Aufsichtsrats, der Eigentümerstruktur, der Vergütungsstruktur und der Rechnungslegung. Governance-Verhalten quantifiziert die Geschäftspraktiken im Hinblick auf Anfälligkeit für Korruption und wettbewerbswidriges Verhalten, Steuern sowie – im Falle von Finanzwerten – zusätzlich Aspekte der Finanzmarktstabilität.

2 Berechnungsmethodik von Long-Short-Portfolios: Das Anlageuniversum wird auf Basis von Governance-Scores in fünf gleichgroße Gruppen unterteilt (Quintile). Es wird in das Quintil mit den höchsten Governance-Scores (Q1) investiert, während das Quintil mit den niedrigsten Governance-Scores leerverkauft wird (Q5: Wir erhalten die invertierte Rendite aus diesem Portfolio). Die Berechnungen werden auf monatlicher Basis neu gewichtet (Euro-Bruttorenditen).

3 Denn die Inverse des Bewertungsmultiplikators – zum Beispiel des Kurs-Gewinn-Verhältnisses, kurz KGV (1/KGV)) – lässt sich als Ertragsrendite in Prozent darstellen. Daraus folgt, dass ein KGV von 20 x (1/20 = 5 %) vorteilhafter bei der Refinanzierung ist als ein KGV von 10 x (1/10 = 10 %).

4 Bei aktivistischen Leerverkaufskampagnen wird durch den Leerverkauf von Aktien auf sinkende Kurse spekuliert, bevor Berichte veröffentlicht werden, die behaupten, ein Zielunternehmen sei überbewertet. Können die verliehenen Wertpapiere zu einem niedrigeren Kurs zurückgekauft werden, wird ein Gewinn in Höhe der Spanne zwischen An- und Verkaufspreis abzüglich der Gebühr für die Leihe verbucht.

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Gastautor

Jan Rabe, Co-Head Sustainable Investment Office, Metzler Asset Management GmbH
Jan Rabe
Sustainable Investment Office
Metzler Asset Management GmbH

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