Distressed M&A – Herausforderungen und Chancen für Erwerber

Krisen als Chance: Welche Herausforderungen Distressed M&A-Transaktionen bergen und wie Sie von Unternehmenskrisen profitieren können.

Distressed M&A – Herausforderungen und Chancen für Erwerber

In den letzten Jahrzehnten hat der Mergers & Acquisitions (M&A) Sektor in Deutschland eine signifikante Entwicklung erfahren. „Distressed M&A“ bezeichnet dabei Transaktionen von Unternehmen oder Unternehmensteilen in Krisensituationen. Angesichts der vielfältigen Krisen in der Eurozone ist zu erwarten, dass die Relevanz dieses Bereichs weiter zunehmen wird. Für Erwerber bieten diese Transaktionen bedeutende Chancen, wie beispielsweise den Erwerb von Vermögenswerten zu einem reduzierten Preis, die Möglichkeit zur Neupositionierung und Effizienzsteigerung des Unternehmens sowie den Zugang zu neuen Märkten oder Produktlinien.

Timing und Transaktionsstruktur als maßgebliche Erfolgsfaktoren

Unternehmensübernahmen aus Krisensituationen weisen einige Besonderheiten auf: Zum einen können insolvenzrechtliche Vorschriften sowohl innerhalb eines Insolvenzverfahrens als auch bereits unmittelbar vor einer Insolvenz die Transaktion beeinflussen. Zum anderen beeinflussen die Interessenslagen externer Parteien wie Banken, Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten diese Transaktionen. Zeitdruck und eine möglichst genaue Kenntnis der Krisenursachen spielen eine entscheidende Rolle für eine erfolgreiche Transaktion und damit auch für die Sanierung des Zielunternehmens.

Im Vorfeld einer Distressed M&A-Transaktion sind insbesondere zwei wesentliche Faktoren zu berücksichtigen: der Zeitpunkt der Transaktion sowie die Struktur, in der die Transaktion erfolgen soll.

Die Transaktion kann entweder im Wege eines Share-Deals oder eines Asset-Deals erfolgen. Beim Asset-Deal wird der Geschäftsbetrieb durch Übertragung aller oder spezifischer Vermögensgegenstände verkauft. Dies ermöglicht dem Käufer, ausgewählte Assets zu erwerben ("Cherry-Picking"), und bietet gleichzeitig die Möglichkeit verdeckte Risiken zu meiden. Zudem können sich steuerliche Vorteile aus der Abschreibung dieser Assets ergeben. Ein Nachteil dieser Methode ist jedoch die Notwendigkeit neue Vertragsverhältnisse zu etablieren oder Übernahmen mit den Vertragspartnern zu verhandeln, was in der Kürze der Zeit eine Herausforderung darstellen kann (z.B. bei Vermietern und Lieferanten). Auch die Übertragung von Arbeitsverhältnissen sollte gut vorbereitet sein. Eine Übertragung von Arbeitsverhältnissen kann durchaus Widerstand bei den Arbeitnehmern hervorrufen. Aber auch wirtschaftlich sollte ein Erwerber die möglichen Konsequenzen eines Betriebsübergangs (§ 613a BGB) berücksichtigen.

Bei einem Share-Deal werden die Geschäftsanteile verkauft und somit das gesamte Unternehmen inklusive aller Rechtspositionen und Verbindlichkeiten übernommen. Diese Methode vereinfacht die Übertragung und ermöglicht die Fortführung bestehender Verträge oder den Erhalt behördlicher Erlaubnisse, die an den Rechtsträger gebunden sind. Jedoch übernimmt der Käufer bei einem Share-Deal auch alle existierenden Verbindlichkeiten des Unternehmens, inklusive verdeckter Risiken. Die Übernahme existierender Verbindlichkeiten stellt gerade beim Kauf in Krisensituationen einen erheblichen Nachteil dar, sodass diese Transaktionsstruktur deutlich seltener zur Anwendung kommt. Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens kann dieser Nachteil unter bestimmten Voraussetzungen mit Vorlage eines Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter oder Schuldner beim Share-Deal ausgeräumt werden. Denkbar ist beispielsweise eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalheraufsetzung, sodass der Investor die neugeschaffenen Anteile dann übernimmt.

Neben der Struktur liegt ein besonderer Fokus im Distressed M&A auf dem Timing der Transaktion. Verschiedene Zeitpunkte kommen für die Transaktion in Betracht und beeinflussen die Rahmenbedingungen der Transaktion maßgeblich:

• vorinsolvenzlich, d.h. in einer wirtschaftlichen Krise, bevor ein Insolvenzantrag gestellt wird;
• im Insolvenzantragsverfahren;
• nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

Im Vorfeld einer Insolvenzantragstellung unterliegt die Transaktion den Vorschriften des allgemeinen Zivil- und Gesellschaftsrechts. Zu diesem Zeitpunkt liegt oftmals noch eine funktionierende Lieferkette und ein unbelasteter Kundenstamm vor. Zudem wird das Unternehmen noch nicht mit der Schlagzeile der Insolvenz in Verbindung gebracht. Nachteilig kann sein, dass Risiken in dieser Phase möglicherweise nicht vollständig erfasst werden und das Vorliegen von Insolvenzgründen übersehen wird. Bei einer späteren Insolvenz besteht dann insbesondere die Gefahr einer Anfechtung des Unternehmenskaufvertrags durch den Insolvenzverwalter (§§ 129 ff. InsO), was im schlimmsten Fall zu einer Rückübertragung der Transaktionsgegenstände führen kann und dem Erwerber in einem solchen Fall nur die Anmeldung des Kaufpreises zur Insolvenztabelle bleibt. Bei einer nicht vollständigen Abwicklung zum Zeitpunkt einer späteren Insolvenz, besteht die Gefahr, dass der Insolvenzverwalter von seinem Wahlrecht nach § 103 Abs. 1 InsO Gebrauch macht und die weitere Erfüllung des Vertrags ablehnt. Auch in diesem Fall kann der Erwerber seinen Rückzahlungsanspruch bzw. Schadensersatzansprüche nur zur Insolvenztabelle anmelden. Daneben sind verschiedene nicht insolvenzspezifische Haftungsregelungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen, die an die Übernahme von Unternehmen oder Unternehmensteilen gekoppelt sind. Insbesondere die Risiken der Haftung für steuerliche Sachverhalte (§ 75 AO) und der Haftung der Firma (§ 25 HGB) sind gegenüber den Vorteilen des Erwerbs außerhalb der Insolvenz abzuwägen. Wird ein Share-Deal angestrebt, sollten auch Risiken sogenannter Change-of-Control-Klauseln berücksichtigt werden, durch die sich ein Vertragspartner wegen eines Eigentümerwechsels vorzeitig lösen kann.

Zwischen Insolvenzantragstellung und Insolvenzeröffnung („Insolvenzantragsverfahren“) finden Unternehmensverkäufe regelmäßig nicht statt. In diesem Zeitraum wird der vorläufige Insolvenzverwalter die Möglichkeiten einer Verwertung der Vermögensgegenstände des schuldnerischen Unternehmens eruieren und vorbereiten. Nicht selten wird in diesem Zeitraum bereits ein geordneter Investorenprozess gestartet, der aber erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen wird.

Mit Insolvenzeröffnung verringern sich die Risiken für einen Erwerber deutlich, so fallen insbesondere die Anfechtungsrisiken weg und es bestehen Privilegierungen im Hinblick auf die Haftung der Firma und steuerliche Sachverhalte. Gerade für strategische Käufer mit einem tragfähigen Sanierungskonzept kann sich hier die Chance bieten, sich in umkämpften Märkten zu platzieren oder interessante Technologien zu übernehmen. Dabei können Restrukturierungsziele, z.B. im Rahmen des Insolvenzarbeitsrechts durch Sondervorschriften vereinfacht umgesetzt werden. Zu denken ist hierbei beispielsweise an die Kündigung unvorteilhafter Verträge. Allerdings kann auch bei Unternehmenskauf aus der Insolvenz das Risiko eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB nicht vollständig ausgeschlossen werden.

Der Insolvenzverwalter als Verkäufer

Wie bei jedem anderen Geschäft auch, ist es sinnvoll, die Motivation seines Geschäftspartners zu kennen. Der Insolvenzverwalter ist im eröffneten Insolvenzverfahren für die bestmögliche Verwertung der Vermögensgegenstände des insolventen Unternehmens verantwortlich, um die bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu erreichen. Er übernimmt bei einem laufenden Geschäftsbetrieb die Unternehmensleitung während des Insolvenzverfahrens und verhandelt parallel hierzu mit Kaufinteressenten. Letztlich agiert der Insolvenzverwalter aber weniger als Verkäufer im klassischen Sinne, sondern vielmehr als Moderator zwischen den einzelnen Stakeholdern, die an der Transaktion beteiligt sind. Er bündelt deren Interessen vor dem Hintergrund seines Auftrags zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung. In Fällen von Asset-Deals hat er zudem die auf die Assets bezogenen Sicherungsrechte zu berücksichtigen.

Besondere Herausforderungen stellen der im (vorläufigen) Insolvenzverfahren vorherrschende Zeitdruck und die dem Insolvenzverwalter vorliegenden limitierten Informationen dar. Dies erschwert für Erwerber die Durchführung einer Due Diligence und damit die Identifizierung und Bewertung von Risiken.

Im Gegensatz zu klassischen M&A-Deals erfolgt der Verkauf durch den Insolvenzverwalter üblicherweise zu einem Festpreis ohne die Möglichkeit nachträglicher Kaufpreisanpassungen. Der Insolvenzverwalter wird regelmäßig bei für ihn nicht vollständig bewertbare Risiken keine Garantien abgeben und seine Haftung auf das Mindestmaß beschränken wollen.

Bei der Bewertung des zu übernehmenden Unternehmens bzw. Unternehmensteils und der Kaufpreisfindung müssen Kaufinteressenten im Vorfeld identifizierte und potenzielle Risiken einpreisen. Das Angebot wird in der Regel zumindest den Wert aus einem reinen Zerschlagungsszenario übersteigen müssen. Die erfolgreiche Abwicklung eines Distressed M&A-Deals erfordert vom Insolvenzverwalter neben Fachwissen und Verhandlungsgeschick eine besondere Sensibilität für die komplexen Anforderungen dieser speziellen Transaktionen. Dabei verfolgt er stets das Ziel, den Wert des Unternehmens bestmöglich im Interesse der Gläubiger zu maximieren.

Ablauf des Distressed M&A-Deals

Sicherlich weist jede Distressed M&A-Transaktion ihre spezifischen Besonderheiten auf. In der Praxis hat sich dennoch ein typischer Ablauf für den Unternehmensverkauf in Krisensituationen herauskristallisiert. Dieser Prozess gliedert sich üblicherweise in drei Phasen: Vorbereitung, Vermarktung sowie Verhandlung /. Closing. Zeitlich erstreckt sich dieser Prozess in der Regel über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Wochen.

Während der Vorbereitungsphase wird in der Regel ein Informationsmemorandum erstellt und gleichzeitig nach potenziellen Investoren gesucht. Das Informationsmemorandum dient den Interessenten als zentrales Informationswerkzeug. Es umfasst die Darstellung des Unternehmens, seiner Märkte, der strategischen Ausrichtung und finanziellen Lage. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Darstellung der Krisensituation und die mögliche einzigartige Verkaufsposition des Unternehmens (Unique Selling Proposition) gelegt. Parallel zur Erstellung des Memorandums wird eine "Longlist" potenzieller Investoren zusammengestellt, die sowohl strategische als auch finanzielle Akteure umfasst, die potenziell an einer Übernahme interessiert sein könnten. Gerade in Krisenzeiten ist eine umfassende Ansprache des Marktes entscheidend, um zügig einen passenden Käufer zu finden.

An die Vorbereitungsphase knüpft direkt die Vermarktungsphase des Unternehmens an. Ein zentraler und möglicherweise entscheidender Schritt in dieser Phase ist die „Management Presentation“ für Interessenten, deren erstes indikatives Angebot als interessant eingestuft wird. Für den Kaufinteressenten bietet diese Präsentation im Rahmen des M&A-Prozesses die erste Gelegenheit, die Schlüsselpersonen im Unternehmen kennenzulernen und sich ein umfassendes Bild über das Management und die operativen Abläufe zu machen.

Die Due-Diligence-Phase erlaubt es dem Käufer, die wirtschaftlichen, rechtlichen und finanziellen Gegebenheiten des Unternehmens gründlich zu untersuchen und sein Angebot zu konkretisieren. In Situationen, die von finanzieller Not geprägt sind, konzentriert sich die Prüfung neben den historischen Daten vor allem auf zukünftige Perspektiven und Möglichkeiten zur operativen Wertsteigerung. Wesentliche Prüfungspunkte sollten dabei umfassen:

• Analyse des Geschäftsmodells - Chancen und Risiken
• Verständnis der Krisenursachen
• Analyse von Finanzierungs- und Restrukturierungspotenzialen
• Analyse der Liquiditätssituation und Liquiditätsplanung: Ermittlung des Finanzierungsbedarfs für Investitionen und Betriebsmittel, Liquiditätsplanung
• Analyse von Lieferanten- und Kundenbeziehungen und der wesentlichen Vertragsverhältnisse sowie der Finanzierungsverträge
• Erarbeitung eines neuen Businessplans
• Darstellung der angedachten Transaktionsstruktur

Auf Grundlage der abgegebenen verbindlichen Angebote unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus der Due Diligence und der Preisvorstellungen beider Parteien finden die Verhandlungen über den Kaufpreis und die Vertragskonditionen statt. In Krisensituationen ist dabei oft ein hohes Maß an Schnelligkeit und Flexibilität erforderlich, um das Unternehmen erfolgreich aus der Krise zu steuern. Das Closing kennzeichnet den formalen Abschluss des M&A-Geschäfts. In dieser entscheidenden Phase werden die vereinbarten Bedingungen umgesetzt und die Eigentumsrechte gehen auf den Käufer über.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Für Erwerber bergen Distressed M&A-Transaktionen sowohl bedeutende Chancen als auch nicht zu unterschätzende Risiken. Die Herausforderungen sind vielfältig und reichen von der Komplexität insolvenzrechtlicher Vorschriften über die Berücksichtigung der Interessen externer Parteien bis hin zur Notwendigkeit einer schnellen und doch umfassenden Due Diligence.

Die Vorteile umfassen die Chance auf einen Gewinn an Wertschöpfungs- und Prozesskompetenz, indem operative Effizienzen gesteigert und die organisatorische Leistungsfähigkeit durch die Integration bewährter Praktiken des Zielunternehmens verbessert werden. Die Erweiterung der Produktpalette kann zu einer Diversifikation und Stärkung der Marktpräsenz des Erwerbers führen. Weiterhin eröffnet Distressed M&A Möglichkeiten zur Gewinnung von Anteilen in bestehenden Märkten sowie zur Erschließung neuer Märkte und Vertriebswege. Nicht zuletzt kann eine Reduktion der Wettbewerbsintensität durch die Übernahme eines Konkurrenten die Marktposition des Erwerbers stärken und zu verbesserten Margen führen.

Die erfolgreiche Umsetzung von Distressed M&A-Deals erfordert eine sorgfältige Vorbereitung, die Identifikation und angemessene Bewertung potenzieller Risiken und Chancen sowie eine strategische Herangehensweise an die Transaktionsstruktur und das Timing. Die Bereitschaft, in die notwendige Due Diligence zu investieren, und die Fähigkeit, schnell und flexibel auf Veränderungen zu reagieren, sind dabei essenziell. Voraussetzung für den Erfolg ist eine umfassende Kenntnis der spezifischen Herausforderungen, die solche Transaktionen mit sich bringen, sowie eine kluge und vorausschauende Planung und Durchführung der Akquisition. Nicht selten ist es daher empfehlenswert, für eine solche Transaktion entsprechende auf Krisensituationen spezialisierte Berater hinzuziehen.

Gastautoren

Christian Rissmann
Christian Rissmann
Rechtsanwalt
BRL

Nathalie Mohr
Nathalie Mohr
Rechtsanwältin
BRL

 

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