Unternehmensbewertung in Zeiten der Unsicherheit

Wie Corona und der Krieg in der Ukraine sich auf Werte und Kaufpreise auswirken!



Die aktuellen globalen Krisen und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen schlagen sich auch auf Unternehmenswerte und Kaufpreise für Unternehmen nieder. Um auch in Zeiten erhöhter Unsicherheit belastbare Bewertungen als Grundlage ökonomischer Entscheidungen ermitteln zu können, kommt der Auswahl geeigneter Bewertungsverfahren und dem sachgerechten Umgang mit Risiken eine besondere Bedeutung zu. Unternehmensbewertung in Zeiten der Unsicherheit Wie Corona und der Krieg in der Ukraine sich auf Werte und Kaufpreise auswirken!

Aktuell erschüttern gleich mehrere globale Krisen auch die deutsche Wirtschaft in spürbarem Umfang. Seit 2020 führten zunächst die zahlreichen Wellen der Corona-Pandemie zu erheblichen Herausforderungen, seit Februar 2022 bringen zudem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die in diesem Zusammenhang verhängten Sanktionen massive wirtschaftliche Auswirkungen mit sich. Weitere Eskalationen können nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere steigende Inflationsraten, explodierende Rohstoff- und Energiepreise, Lieferkettenstörungen, wegbrechende Absatzmärkte sowie steigende Zinsen machen sich für viele Unternehmen bemerkbar. An den Finanzmärkten konnten in der Folge mehrere signifikante Kurseinbrüche beobachtet werden, doch auch die Werte nicht börsennotierter Unternehmen werden durch die gestiegene Unsicherheit beeinflusst.

Unternehmenswert versus Kaufpreis

Der Wert eines Unternehmens spiegelt grundsätzlich den künftigen finanziellen Nutzen aus Sicht der Anteilseigner wider, üblicherweise in Form des Barwerts der erwarteten künftigen finanziellen Überschüsse, die sich bei Fortführung des Unternehmens ergeben (Zukunftserfolgswert). In der Bewertungspraxis haben sich dabei vor allem die Ertragswert- und Discounted Cashflow (DCF)- Methoden herausgebildet, welche unter konsistenten Annahmen zu gleichen Werten führen. Sie leiten den Unternehmenswert ausgehend von einer Planungsrechnung ab, in dem die erwarteten künftigen finanziellen Überschüsse anhand eines risikoadäquaten Zinssatzes auf den Bewertungsstichtag abgezinst werden. Eventuell vorhandenes nicht betriebsnotwendiges Vermögen wird als Sonderwert hinzugerechnet.

Bei ertragsschwachen Unternehmen stellt nach herrschender Meinung der Liquidationswert die Wertuntergrenze dar. Die in der Transaktionspraxis, insbesondere bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen, beliebten vereinfachten Preisfindungen durch Multiplikatormethoden werden von professionellen Bewertern meist lediglich zur Plausibilitätskontrolle von Bewertungen nach Ertragswert- oder DCF-Verfahren genutzt.

Abweichend davon stellt der Kaufpreis für ein Unternehmen das Ergebnis einer Verhandlungssituation dar, in der mindestens zwei Parteien sich unter Berücksichtigung zahlreicher individueller Faktoren (Verhandlungsposition, Zeitdruck, Zahl der Kaufinteressenten etc.) auf einen zu zahlenden Kaufpreis verständigt haben. Diese Faktoren werden in der Praxis häufig dazu führen, dass Unternehmenswerte und tatsächliche verhandelte Preise voneinander abweichen. Dennoch sollte die Ermittlung eines Unternehmenswerts immer den Ausgangspunkt für alle weiteren Kaufpreisüberlegungen bilden. Entsprechend wichtig ist es, den Unternehmenswert auf eine belastbare, transparente und nachvollziehbare Weise zu ermitteln und damit eine geeignete Basis für weitere strategische Entscheidungen zu schaffen - einschließlich der Abgabe von angemessenen Kaufpreisangeboten oder der Beurteilung erhaltener Angebote. Auch im Rahmen von Nachfolgegestaltungen, z.B. durch Schenkung oder Erbe, können sachgerechte Bewertungen eine entscheidende Rolle spielen, um spätere Überraschungen im Rahmen der steuerlichen Veranlagung zu vermeiden.

Auswirkungen der aktuellen Situation auf Unternehmenswerte

Da Unternehmenswerte vor allem die erwartete künftige Ertragskraft eines Unternehmens und das damit verbundene Risiko widerspiegeln, liegt es nahe, dass für eine Vielzahl von Unternehmen derzeit rückläufige Unternehmenswerte zu beobachten sind. Gestiegene Rohstoff- und Energiepreise sowie Personalkosten, welche nicht vollständig durch Preissteigerungen an die eigenen Kunden weitergegeben werden können, aber auch Lieferschwierigkeiten belasten die kurzfristigen Ergebnisse unmittelbar. Gleichzeitig bestehen hinsichtlich der mittel- und langfristigen Aussichten hohe Unsicherheiten. Die angesichts der Inflationsentwicklung geänderte Zinspolitik der Notenbanken führt zudem zu steigenden Kapitalkosten.

Es sind jedoch auch Fälle zu beobachten, in denen einzelne Unternehmen und Branchenzweige von den aktuellen dynamischen Entwicklungen profitieren, da ihr Geschäftsmodell einen Nachfrageaufschwung erlebt. Auch macht sich für zahlreiche Unternehmen derzeit das Auslaufen der Corona-Maßnahmen positiv bemerkbar. Eine sachgerechte Bewertung setzt daher eine individuelle Analyse und Würdigung der jeweiligen kurz-, mittel- und langfristigen Effekte voraus.

Grundlegend ist für Unternehmensbewertungen auch die Beachtung des Stichtagsprinzips, nach welchem einer Bewertung nur derjenige Informationsstand zugrundgelegt werden darf, der bei angemessener Sorgfalt zum Bewertungsstichtag hätte erlangt werden können. Auf dieser Basis sollten beispielsweise die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine bei Bewertungsstichtagen bis zum 23. Februar 2022 keine Berücksichtigung finden.

Welche Bewertungsverfahren eigenen sich in dieser Situation besonders?

Der angemessene Umgang mit Unsicherheit gehört allgemein zu den Kernaufgaben einer Unternehmensbewertung. Insbesondere die Ertragswert- und Discounted Cashflow (DCF)-Verfahren geben dem Bewerter dafür das bestmögliche Werkzeug an die Hand. Da die künftige Ertragskraft üblicherweise anhand einer integrierten Unternehmensplanung – bestehend aus Ertrags-, Bilanz- und Cashflow-Planung – für einen mehrjährigen Detailplanungszeitraum abgeleitet wird, können Annahmen zur weiteren Entwicklung unter Berücksichtigung des individuellen Markt- und Wettbewerbsumfelds modelliert werden. In einer anschließenden Phase der ewigen Rente wird nach Erreichen eines sogenannten eingeschwungenen Zustands ein nachhaltiges Ergebnis geplant.

Mit Szenario-Analysen und Simulationstechniken stehen dem Bewerter verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die bestehenden Risiken und Unsicherheiten zu berücksichtigen. Dabei können die zentralen Werttreiber transparent und nachvollziehbar dargestellt und eine mögliche Doppelerfassung von Risiken in der Planung und den Kapitalkosten vermieden werden. Auch die Besonderheiten kleiner und mittelgroßer Unternehmen, vor allem mögliche Einschränkungen bei der Übertragbarkeit der vorhanden Ertragskraft, lassen sich angemessen abbilden. Angesichts der oftmals gesunkenen Ertragskraft können Liquidationswerte aktuell häufiger als Wertuntergrenze relevant sein und sollten entsprechend intensiver geprüft werden.

Demgegenüber stoßen insbesondere die aufgrund ihrer vermeintlich einfachen Anwendung beliebten Multiplikatormethoden bei der Berücksichtigung der aktuellen Unsicherheit schnell an ihre Grenzen. Sie ermitteln den Unternehmenswert durch Multiplikation einer Bezugsgröße (in der Praxis meist Ergebnisgrößen wie EBIT oder EBITDA, teilweise auch Umsatzerlöse) mit einem aus vergleichbaren Transaktionspreisen oder Börsenkursen abgeleiteten Multiplikator. Die Bezugsgröße kann sich dabei aus Vergangenheitsdaten oder Planwerten für die Zukunft ableiten. Sie bezieht sich in der Regel nur auf eine einzelne Periode, alle weiteren Wachstumsannahmen werden im Multiplikator erfasst. Wichtig ist daher, dass Bezugsgröße und Multiplikator sich jeweils auf den gleichen Zeitraum beziehen. Sofern Vergangenheitsdaten zugrunde gelegt werden, besteht immer die Gefahr, dass wesentliche Veränderungen der künftigen Ertragskraft nicht hinreichend erfasst werden. Vor allem in der aktuellen Situation sind viele Verzerrungen in den Ergebnissen der letzten Jahre festzustellen.

Die Ableitung des Multiplikators stellt sehr hohe Anforderungen an die tatsächliche Vergleichbarkeit der Vergleichstransaktionen und/oder -börsenkurse sowie die Aktualität der zugrundeliegenden Daten. In der Praxis sind oft starke Vereinfachungen bei der Ableitung von Multiplikatoren zu sehen, teilweise werden willkürlich pauschale Multiplikatoren auf EBIT/EBITDA-Größen des letzten Jahres oder den Durchschnitt mehrerer Jahre angewandt, wodurch der Bezug zur künftigen Ertragskraft oft verloren geht.

Will man die oben aufgezeigten Problemfelder tatsächlich auf belastbare Weise im Rahmen von Multiplikatormethoden berücksichtigen, würde der Arbeitsaufwand zwangsläufig auf das gleiche Ausmaß ansteigen, wie bei Ertragswert- oder DCF-Methoden. Das Zusammenfassen zahlreicher wesentlicher Werttreiber (z.B. operatives Risiko, Finanzstrukturrisiko, Wachstumsannahmen etc.) auf eine einzelne Größe (den Multiplikator) führt jedoch in jedem Fall zu einer stark eingeschränkten Transparenz der Bewertung.

Der im Vergleich höhere Zeit- und Kostenaufwand zur Ermittlung von Ertrags- und DCF-Werten sollte somit auch immer vor dem Hintergrund der Tragweite der zugrundeliegenden ökonomischen Entscheidungen (wie z.B. Kauf oder Verkauf des Unternehmens oder Auswahl einer steuerlich vorteilhaften Nachfolgegestaltung) gesehen werden.

Fazit

Aus Bewertersicht lässt sich feststellen, dass die aktuellen Rahmenbedingungen und die daraus folgenden erhöhten Unsicherheiten die grundsätzlichen Stärken und Schwächen der gebräuchlichen Bewertungsverfahren noch deutlicher hervortreten lassen.

Die Ertragswert- und DCF-Verfahren schaffen Transparenz und geben den Spielraum für sachgerechte, individuelle Problemlösungen. Auch die Ermittlung von Liquidationswerten als Wertuntergrenze bei ertragsschwachen Unternehmen sollte nicht vernachlässigt werden. Multiplikatormethoden verleiten hingegen aufgrund ihrer starken Vereinfachungen leicht zu falschen Einschätzungen, was ihre Eignung als Grundlage für wesentliche ökonomische Entscheidungen stark einschränkt.

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Gastautor

Marc Lange
Marc Lange
Certified Valuation Analyst
Senior Manager, Valuation & Modelling
BRL Boege Rohde Luebbehuesen PartGmbB und
Moore BRL GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Steuerberatungsgesellschaft

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