Sanierung und Insolvenz in stürmischen Zeiten

Vielleicht war der Sanierungs- und Beratungsbedarf in der Unternehmerlandschaft noch nie so groß wie heute. Eine Vielzahl von exogenen Krisen und hausgemachten Problemen – wie zum Beispiel eine vielerorts verschlafene Digitalisierungsstrategie – lassen den Beratungsbedarf deutlich ansteigen. Gleichzeitig macht sich die Insolvenzverwalterbranche angesichts der EU-Pläne für eine Harmonisierung des Insolvenzrechts einige Sorgen. Und das in einer Zeit, in der sich die Insolvenzverfahren seit geraumer Zeit auf sehr niedrigem Niveau bewegen.

Sanierung und Insolvenz in stürmischen Zeiten

Quelle: Bulat Silvia/iStockPhoto

Bei der diesjährigen BDU-Fachtagung Sanierung sprach Prof. Dr. Henning Vöpel, der Direktor des Centrums für Europäische Politik (CEP), deutliche Worte zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Sanierungsbranche. Sein „wirtschaftlicher und konjunktureller Ausblick auf 2023“ geriet zu einer nachdenklichen Achterbahnfahrt über eine „Welt in der Polykrise“. Angesichts zahlreicher exogener Schockwellen und wachsender geopolitischer Spannungen sei die Welt deutlich instabiler geworden. Die Energiewende gleiche einem Scherbenhaufen und die Digitalisierung komme nicht voran. Das Renten- und Fachkräfteproblem sei weiter ungelöst und Deutschland droht die Gefahr einer De-Industrialisierung. Die Zahl der Unternehmen, die in eine existenzbedrohende Krise geraten, dürfte infolgedessen nicht kleiner werden.

Für die Sanierungs- und Restrukturierungsbranche gibt es also genug zu tun. Und dort ist man sich weitgehend einig, dass man bei schwächelnden Unternehmen nicht erst bei einer Ertrags- und Liquiditätskrise mit der Sanierungsberatung anfangen sollte.

Die große Herausforderung besteht nach wie vor darin, frühzeitig kriselnde Unternehmen zu identifizieren und einen Zugang zu den Entscheidungsträgern zu bekommen. Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, die über einen ungeschminkten Blick auf die Kennzahlen ihrer Mandanten verfügen, haben hier eine nicht zu unterschätzende Vermittlungsfunktion zwischen Geschäftsführern und Vorständen auf der einen und Beratern auf der anderen Seite.

Kommt es rechtzeitig zu einer offenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit, erkennen externe Sanierungsprofis häufig sehr schnell „wo der Schuh drückt“. Notwendige Umstrukturierungsprozesse bzw. eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens führen im Idealfall dazu, das Unternehmen wieder in sicheres Fahrwasser zu führen. Ausruhen dürfen sich Unternehmer danach trotzdem nicht. Die Halbwertzeit eines Geschäftsmodells ist den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Man rechnet damit, dass dieser Wert in den 2030er-Jahren maximal nur noch 10 Jahre betragen wird.

Für die nachhaltige (außergerichtliche) Sanierung und Krisenbewältigung eines Unternehmens spielen eine Fülle von Faktoren eine Rolle. Nicht wenige Firmenlenker haben in den Pandemiejahren versäumt, ihre Hausaufgaben zu machen. In den Bereichen Digitalisierung und Transformation gibt es erheblichen Nachholbedarf. Das gilt auch für die immer wichtigere Einhaltung der ESG-Kriterien. Die große Herausforderung für kleine und große Unternehmen besteht darin, ihr Geschäftsmodell nachhaltig, umweltschonend und wirtschaftlich aufzustellen. Wie sagte mir ein Berater: „ESG ist kein kurzlebiges Modethema. ESG ist gekommen, um zu bleiben“. In naher Zukunft werden immer mehr Banken und Geschäftspartner wissen wollen, wie nachhaltig das Geschäftsmodell eines Unternehmens ist. Wer frühzeitig mit der Transformation begonnen hat und die eigene Nachhaltigkeit einhält und dokumentiert, überzeugt Investoren und andere Stakeholder.

In der Insolvenzverwalterbranche spürt man nach Jahren der Flaute wieder Aufwind. Auch wenn die von vielen Marktteilnehmern herbeigewünschte Insolvenzwelle nun doch nicht kommen wird. Mit Skepsis und Sorge verfolgt man, was sich in Brüssel zusammenbraut. Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des materiellen Insolvenzrechts sorgt für Gesprächsstoff. So wird beispielsweise heftig darüber diskutiert, ob es in Zukunft „verwalterlose Verfahren“ für Kleinstunternehmen geben wird. Dafür muss man wissen, dass 90 % der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland Kleinstunternehmen betreffen.

Insofern sind kritische Einwände gegen das Vorhaben durchaus berechtigt. Zum einen besteht die existenzielle Gefahr, dass dadurch einem nicht unerheblichen Teil der Insolvenzverwalterkanzleien die wirtschaftliche Grundlage entzogen werden könnte. Zum anderen darf man Zweifel anmelden, ob Schuldner in der Breite tatsächlich in der Lage sein werden, Informationen ordnungsgemäß aufzuarbeiten. Ich habe erhebliche Zweifel, ob diese Anforderungen von Geschäftsführern und Selbstständigen zu stemmen sind. Und ich bezweifele auch, ob die staatlichen Aufgaben, die bei den Behörden bzw. bei Gericht verortet werden, bei uns in Deutschland besser aufgehoben wären, wenn man sie von den entsprechend gut ausgestatteten Verwalterbüros wegnimmt. Im Übrigen halte ich es für gewagt, wenn die EU-Kommission davon ausgeht, dass Gerichte und Schuldner die Verwertung selbst vornehmen können.

Beim 20. Deutschen Insolvenzverwalterkongress in Berlin wurde vor kurzem darüber diskutiert, ob man ein Sanierungsvergleichsverfahren außerhalb der InsO benötigt und ob ein solches Verfahren auch dem im EU-Richtlinienvorschlag geforderten „Pre-Pack“-Ansatz nahekommt. Hier gibt es angesichts starker Berührungspunkte und Überschneidungen im Bereich von Unternehmenssanierungen durch eigenverwaltete Insolvenzverfahren erhebliche Bedenken. Es mehren sich die Stimmen, dem deutschen Gesetzgeber in jedem Fall die Möglichkeit zu belassen, das Pre-Pack Verfahren in das vorläufige Insolvenzverfahren (in Eigenverwaltung) einzubetten, um sicherzustellen, dass die Gläubigerinteressen gewahrt werden und die Gesamtheit der Gläubiger nicht mit Eröffnung vor vollendete Tatsachen gestellt wird.

In seiner ausführlichen Stellungnahme zum Richtlinienentwurf weist das „Forum 270 – – Qualität und Verantwortung in der Eigenverwaltung e. V.“ auch auf einen anderen Aspekt hin. „Dadurch, dass der Pre-Pack zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgelegt und abgeschlossen werden soll, entfiele im deutschen Insolvenz- und Sanierungsregime die Möglichkeit einer Insolvenzgeldvorfinanzierung, was zur Folge hätte, dass die Gläubiger unter einem enormen Annahmedruck stünden.“

Prof. Dr. Christoph Thole (Institut für Internationales und Europäisches Insolvenzrecht, Köln) hat sich intensiv mit dem Kommissionsvorschlag auseinandergesetzt und weist u. a. darauf hin, dass man verhindern müsse, „dass die inzwischen durchaus erfolgreiche Sanierung mittels Schutzschirm durch ein neuartiges Pre-Pack-Verfahren beeinträchtigt wird.“ Erst recht gelte das für das junge StaRUG, dem die Vertragsbeendigungsmöglichkeit gerade fehlt.

Apropos StaRUG. In der Vergangenheit fehlte es an einem Leuchtturmprojekt, mit dem man für dieses Verfahren Werbung machen konnte. Die auf Tagungen vielzitierte Hamburger Salatbar, die in den Genuss eines StaRUG-Verfahrens gekommen ist, sorgte oft für Gelächter und Kopfschütteln. Die Anfang 2021 eingeführte präventive Sanierung nach dem StaRUG blieb eine stiefmütterlich behandelte Randerscheinung. Nur 27 Fälle zählten die 24 Restrukturierungsgerichte im vergangenen Jahr. Dabei liegen die Vorteile dieses Sanierungstools auf der Hand. Unternehmen können im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch ohne Insolvenzverfahren mit gerichtlicher Unterstützung und mit Mehrheitsentscheidung der Gläubiger stabilisiert und restrukturiert werden. Hartgesottenen Akkordstörern kann man wirksam Paroli bieten. Die aktuelle Sanierung des Autozulieferers Leoni könnte jetzt – endlich! – zum ersten großen StaRUG-Fall werden. Ein visibeler und prominenter Anwendungsfall, den die Branche dringend braucht. Ein wichtiger Türöffner, um „diesem tollen Instrument den nötigen Rückenwind zu bescheren“ – so Sanierungsberater Dr. Hubertus Bartelheimer (PLUTA).

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Gastautor

Detlef Fleischer

Detlef Fleischer
Herausgeber EXIS|TENZ MAGAZIN

 

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