Interview mit Dr. Marc Evers zum
"Report Unternehmensnachfolge 2023"

Heimlich, still und leise verschwinden immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland - schlichtweg, weil die Nachfolgefrage unbeantwortet bleibt. Das liegt nicht nur an der Demografie, wie der aktuelle "Report Unternehmensnachfolge 2023" der Deutschen Industrie- und Handelskammer zeigt.

Interview mit Dr. Marc Evers zum "Report Unternehmensnachfolge 2023"Bild: DIHK

Herr Dr. Evers, der DIHK-Report 2023 hat aufgezeigt, dass die Herausforderungen bei der Unternehmensnachfolge im Mittelstand größer denn je sind. Was sind die dringendsten Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden müssen?

“Die Unsicherheit unter den Unternehmen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Dies äußert sich darin, dass etwa 25% der Unternehmen, die sich bei der IHK zur Nachfolge beraten lassen, eine Schließung in Betracht ziehen. Hochgerechnet auf sämtliche Inhaber über 60 könnten in den nächsten fünf Jahren bis zu 250.000 Unternehmen stillschweigend schließen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: gestiegene Energiepreise, anhaltende Inflation und eine schwankende Wirtschaftspolitik. Um dem entgegenzuwirken, ist es entscheidend, ein verlässliches unternehmerisches Umfeld zu schaffen. Dies beinhaltet eine stabile Wirtschaftspolitik und klare Signale von der Politik.”

Welche politischen Barrieren bestehen derzeit in Bezug auf die Unternehmensnachfolge im Mittelstand, und welche Ansätze schlägt die DIHK vor, um diese Herausforderungen zu bewältigen?

“Die aktuelle Wirtschaftspolitik ist von Schwankungen und Unsicherheiten geprägt, wie etwa durch die kurzfristige Schließung von Förderprogrammen und einer fehlenden Energie-Strategie. Diese Instabilität beeinflusst auch die Unternehmensnachfolge im Mittelstand. Langfristige unternehmerische Engagements benötigen ein verlässliches Umfeld. Daher ist eine stabile Wirtschaftspolitik essenziell. Schon auf kurze Sicht sollte die Politik klare und wirksame Signale setzen. Erstens: Das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz, das etwa den Abbau vieler Schriftformerfordernisse vorsieht, sollte als erster Schritt zu einem umfassenden Bürokratieabbau schnell verabschiedet werden. Zweitens: Der Beschleunigungspakt von Bund und Ländern sollte rasch in die Praxis umgesetzt werden, um Prozesse für größere Projekte und Genehmigungsverfahren zu vereinfachen. Drittens: Das Wachstumschancengesetz enthält eine Reihe von Entlastungen und Vereinfachungen bei Steuerverfahren – es sollte nicht weiter verwässert oder blockiert werden.“

Wie können Sie die Politik für das Thema Unternehmensnachfolge sensibilisieren?

“Zur Sensibilisierung der Politik für das Thema Unternehmensnachfolge nutzen wir die umfangreichen Erfahrungen und die Daten aus der Breite der Wirtschaftspraxis sowie der Unternehmen vor Ort. So liegen unseren Reporten zur Unternehmensgründung und zur Unternehmensnachfolge bundesweit mehr als 150.000 Informations- und Beratungsgespräche der IHKs zugrunde. In verschiedenen Formaten wie etwa Praxis-Checks zu Gesetzesvorhaben bringen wir Unternehmen und Politik zusammen, machen die Auswirkungen von Wirtschaftspolitik am unternehmerischen Beispiel konkret und engagieren uns so aktiv dafür, dass Unternehmensnachfolge in Deutschland besser gelingt. Ein Beispiel ist die Initiative 'Aus der Praxis für die Praxis' des Bundeswirtschaftsministeriums, die darauf zielt, Unternehmer und potenzielle Nachfolger zusammenzuführen und den Austausch von Best Practices zu fördern. Wir bringen konkrete Beispiele und Praxishinweise aus den Regionen in die Diskussion ein und machen praktische Vorschläge für Verbesserungen.”

Angesicht eines restriktiveren Zinsumfeldes ist die Nachfolge-Finanzierung deutlich schwieriger geworden. Welche Möglichkeiten stehen Nachfolgeinteressierten offen, um diese Finanzierungsherausforderungen zu bewältigen?

“Wir verfügen in Deutschland über eine sehr gute Infrastruktur von Beratungen und Informationsstellen für Unternehmensnachfolge. Sowohl gewerbliche Unternehmensberatungen als auch öffentliche Stellen wie die Industrie- und Handelskammern bieten umfassenden Service zur Gründungs- und Nachfolgefinanzierung sowie zur Mittelstandsfinanzierung. Zusätzlich haben wir eine starke Infrastruktur mit privaten Banken, Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken und Bürgschaftsbanken. Wichtige Förderprogramme auf Bundesebene, darunter der ERP-Gründerkredit StartGeld, der ERP-Gründerkredit KMU und der ERP-Gründerkredit für den größeren Mittelstand, werden mittels Landesförderbanken umgesetzt und sind oftmals entscheidend für die Unterstützung von Nachfolgefinanzierungen. Bürgschaftsbanken spielen eine wichtige Rolle, insbesondere wenn es um die Bereitstellung von Sicherheiten für Kredite geht. Während die Fremdkapitalfinanzierung noch immer der Hauptfinanzierungskanal ist, werden alternative Formen wie Leasing oder perspektivisch auch Beteiligungsfinanzierung an Bedeutung gewinnen. Dies gilt besonders für Projekte mit hohen Finanzierungsvolumina, wie die Umstellung der Produktion auf Nachhaltigkeit, bei denen die Einbeziehung von Investoren oft notwendig wird, um die erforderlichen Mittel zu beschaffen.”

Trotz der offensichtlichen Bedeutung einer frühzeitigen Nachfolgeplanung scheint dieses Thema bei vielen Unternehmern noch nicht verankert zu sein. Welche Maßnahmen empfehlen Sie, um das Bewusstsein für eine Nachfolgeplanung zu schärfen?

“Die frühzeitige Nachfolgeplanung stellt viele Unternehmer vor eine Herausforderung – sie wird oft als kompliziert empfunden und steht nur einmal im Leben an. Besonders in Familienunternehmen ist dies mit emotionalen Herausforderungen verbunden. Institutionen wie die Industrie- und Handelskammern haben sich sich auf dieses Thema spezialisiert haben und bieten entsprechenden Service an. Die IHKs initiieren beispielsweise frühzeitig Kontakte mit Unternehmern ab 55 Jahren, um sie für die Nachfolgeplanung zu sensibilisieren. Obwohl diese ersten Kontakte nicht immer positiv verlaufen, öffnen sich viele Unternehmer im Laufe der Zeit für das Thema. Die IHKs weisen auf wichtige Aspekte der Nachfolgeplanung hin, während für tiefergehende Beratungen gewerbliche Unternehmensberater hinzugezogen werden können.“

Angesichts der großen Herausforderungen, die im Jahr 2024 und darüber hinaus auf uns zukommen: Was gibt Ihnen Hoffnung, dass der Mittelstand die Nachfolgeproblematik erfolgreich bewältigen wird?

“Wenn man die Geschichte des deutschen Mittelstands betrachtet, erkennt man, dass viele Unternehmen bereits seit mehreren Generationen, manche sogar seit hunderten von Jahren bestehen. Diese Familienunternehmen haben über Generationen hinweg zahlreiche epochale Krisen bewältigt. Ein Schlüsselaspekt des deutschen Mittelstands ist seine Fähigkeit, Krisen nicht nur zu bewältigen, sondern auch Chancen in diesen Krisen zu sehen und zu nutzen, um weiter zu bestehen und gestärkt in die Zukunft zu gehen. Die Vielfalt des Mittelstands in Bezug auf Branchen und Unternehmensstrukturen hat es ihm immer ermöglicht, widerstandsfähig gegenüber Krisen zu sein. Wenn Märkte in Krisen geraten oder verschwinden, entstehen neue Märkte, die der Mittelstand erfolgreich nutzt. Diese Fähigkeit zur Anpassung und Widerstandsfähigkeit, heute als Resilienz bekannt, gibt mir Zuversicht, dass der Mittelstand auch die aktuellen Krisen erfolgreich bewältigen wird.”

Dieses Interview ist zuerst im DUP UNTERNEHMER-Magazin 01/24 erschienen.

Nach oben

Autor

Christian Slotta
Christian Slotta
Deutsche Unternehmerbörse DUB.de

 

DUB-Themennewsletter ✉

Mit dem Themennewsletter der Deutschen Unternehmerbörse erhalten Sie alle wichtigen Informationen aus der Welt der Unternehmensnachfolge regelmäßig per E-Mail. Einmal pro Monat senden wir Ihnen Fachbeiträge, Informationen zu aktuellen Veranstaltungen sowie ausgewählte Verkaufs- und Franchiseangebote.

Jetzt abonnieren!