Nachfolge und Vertrauen: Was der Generationswechsel mit Emotionen zu tun hat und warum es so wichtig ist, diese auf beiden Seiten zu kennen und ernstzunehmen

Nachfolge ist weit mehr als ein betriebswirtschaftlicher Prozess. Warum Vertrauen und emotionale Intelligenz in der Unternehmensübergabe entscheidend sind und wie beide Seiten davon profitieren.

Vater und Tochter Rücken an Rücken im Wohnzimmer

Vanessa ist 20 als sie spürt, dass ihr Vater darüber nachdenkt, sie als seine Nachfolgerin zu sehen. Es passiert an einem Abend am Wochenende. Sie ist gerad vor 2 Stunden bei ihren Eltern angekommen, es war eine harte Woche. Sie hatte jeden Tag von 8:00 an Vorlesungen, Seminare, Workshops, danach zum Arbeiten in die Bibliothek und nachts noch der Home Office Job für ein großes Callcenter. Sie hatte sich eigentlich auf ein entspanntes Wochenende gefreut, aber so wie ihr Vater sie anschaute, wusste sie ohne Worte, dass ihm einiges durch den Kopf ging. Er wirkte ruhig, nachdenklich, seine Augen schauten traurig, der sonst so vitale Mann ging mit hängenden Schultern und müdem Blick. Ich bin noch nicht so weit, rief es in ihr. Lass mich doch mal einfach mein Studium in Ruhe zu Ende machen – und entscheiden, ob ich überhaupt will. Warum jetzt schon? Ist er etwa krank und sie weiß nichts davon? Kann sie diese große Aufgabe überhaupt übernehmen? Kann Vater überhaupt loslassen? Will sie diese Aufgabe überhaupt übernehmen? Probieren und dann sein lassen, das geht dabei nicht, oder? Viele Gedanken kreisen ihr durch den Kopf. Wenige darunter sind positiv. Bei ihrem Vater sieht es anders aus. Herr Kruge hat gerade eine Herz-OP hinter sich. Nichts Lebensbedrohliches, aber schon so, dass er konkret anfängt, an seine Nachfolge zu denken. Wer weiß, wie lange das Herz noch mitmacht? Ist Vanessa schon bereit für eine so große Aufgabe? Wer wird es sonst machen? Was muss Vanessa noch lernen, damit sie fit für

Die stille Macht der Emotionen

Wenn Unternehmen den Generationswechsel vollziehen, ist das eine der sensibelsten Phasen in ihrer Geschichte. Studien zeigen: Rund 40 % der Unternehmensnachfolgen scheitern an zwischenmenschlichen Konflikten. Nicht etwa an fehlender Strategie, sondern an mangelndem Vertrauen. Dabei ist genau das die Währung, mit der Nachfolge gelingen kann.

Psychologische Dynamiken verstehen

Die Nachfolge bringt ein komplexes Zusammenspiel psychologischer Faktoren mit sich. Auf der einen Seite steht die abgebende Generation, die oft Jahrzehnte Lebenswerk übergibt. Da steht die Sorge, ob die Nachfolgegeneration die Übernahme schafft, ob das Lebenswerk in guten Händen ist, aber auch, was nach der Übergabe kommt – welchen Sinn wird man dann für sein Leben finden, wo doch bisjetzt das Unternehmen immer im Mittelpunkt stand. Auf der anderen Seite steht die übernehmende Generation, die mit neuen Ideen und einem anderen Wertekompass antritt, oftmals aber noch nicht sicher ist, ob sie die großen Fußstapfen der Vorgängergeneration ausfüllen kann – oder will, ob sie den Aufgaben gewachsen ist, ob die Übernahme eine Verantwortung ist, bei der man bei Nichtgefallen nicht einfach den Job kündigen kann. Für beide Generationen liegt die Endgültigkeit in der Luft, die Verantwortung für etwas, was Tradition, Leistung, aber auch Mitarbeitende ausmacht und Angst, zu verlieren. Diese Konstellation birgt emotionalen Sprengstoff. Und wie oft wird über diese Emotionen nicht gesprochen. Bei der älteren Generation oft einfach, weil man solche Gespräche nie geführt hat, weil man gelernt hat, über Schwächen nicht zu sprechen. Bei der jüngeren Generation häufig aus Unsicherheit angesichts der großen Aufgabe, der Sorge, Endgültigkeit zu manifestieren, wenn man ausspricht, welche Verantwortung man mit der Übernahme übernimmt, aber auch weil über solche Themen nie gesprochen wurde und viele lieber schweigen, als in die Gefahr laufen, den falschen Ton zu treffen. Und das geht einfach, denn auch, wenn es um harte Fakten geht. Das Emotionale kann immer wieder hochkochen. 

Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung fühlen sich über 60 % der abgebenden Unternehmer:innen nicht ausreichend darauf vorbereitet, emotional loszulassen. Gleichzeitg berichten mehr als 50 % der übernehmenden Nachfolger:innen von fehlender Anerkennung und mangelndem Vertrauen in ihre Kompetenzen.

Vertrauen als Fundament

Vertrauen ist der emotionale Kitt zwischen den Generationen. Es entsteht nicht automatisch mit der Übergabe der Schlüssel, sondern muss durch Dialog, Transparenz und gemeinsame Ziele wachsen. Besonders hilfreich sind begleitende Gespräche durch externe Moderator:innen oder Coaches, die helfen, unausgesprochene Erwartungen zu klären. Gut ist auch, wenn man klare Strukturen für eine verbindliche Kommunikation festlegt. Wann sprechen wir regelmäßig über was. 

Ein gelungenes Beispiel: Ein Familienunternehmen in dritter Generation, das die Nachfolge frühzeitig plante. Der Übergabeprozess begann vier Jahre vor dem offiziellen Generationswechsel. Es wurden regelmäßig moderierte Gespräche geführt, bei denen neben Zahlen auch Ängste, Hoffnungen und Visionen besprochen wurden. Ergebnis: Eine vertrauensvolle Übergabe ohne Brüche.

Die Rolle emotionaler Intelligenz

Emotionale Intelligenz, also die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und zu steuern, ist zentral im Nachfolgeprozess. Unternehmerische Nachfolge ist auch Identitätsarbeit: Wer bin ich, wenn ich übergebe? Wer darf ich sein, wenn ich übernehme?

Ein Perspektivwechsel hilft: Beide Seiten sollten verstehen, dass Nachfolge kein Nullsummenspiel ist. Der abgebende Teil verliert nicht zwangsläufig Bedeutung. Und der übernehmende Teil muss nicht alles ändern, um wirksam zu sein. Gegenseitige Wertschätzung ist der Schlüssel zur Balance.

Zahlen, die aufhorchen lassen

Laut dem KfW-Nachfolge-Monitoring 2024 stehen in den kommenden Jahren rund 560.000 Unternehmen zur Übergabe an. Fast jedes zweite dieser Unternehmen hat keine klar geregelte Nachfolge. Die wirtschaftlichen Folgen sind erheblich: Schätzungen zufolge gehen dadurch jährlich Potenziale in Milliardenhöhe verloren.

Dabei zeigen Erfahrungsberichte erfolgreicher Übergaben: Eine vorausschauende Planung, kombiniert mit emotionaler Klarheit, ist der Schluüssel zur Resilienz.

Fazit: Zukunft braucht Beziehung

Nachfolge ist nicht nur ein Vertrag, sondern ein Prozess des Loslassens, Annehmens und gemeinsamen Neudenkens. Vertrauen, emotionale Intelligenz und offene Kommunikation sind keine weichen Faktoren, sondern harte Erfolgsfaktoren. Wer den Mut hat, diese Aspekte in den Fokus zu rücken, sichert nicht nur den Bestand des Unternehmens – sondern legt die Grundlage für eine starke, generationenübergreifende Zukunft. 

Gastautor

  • Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg