Unternehmensbewertung im Mittelstand: Methoden, Einsatz und Fallstricke

Nachfolge, Verkauf, Fusionen oder strategische Entscheidungen: Die Bewertung eines Unternehmens gehört zu den zentralen Aufgaben in der Unternehmenspraxis. Doch welches Verfahren ist das richtige? Nachfolgend werden vier gängige und relevante Bewertungsmethoden vorgestellt und eingeordnet.

1. Das Substanzwertverfahren – Was steckt wirklich im Unternehmen?

Dieses Verfahren leitet den Unternehmenswert aus dem Vermögen zu Marktpreisen abzüglich der Schulden ab. Anders als beim Liquidationswert wird hier von der Fortführung des Unternehmens ausgegangen, was den Wert tendenziell erhöht. Maßgeblich ist, dass beispielsweise der Wiederbeschaffungswert einer Maschine höher ist als der Veräußerungserlös bei einer Auktion im Rahmen einer Auflösung. Zudem entfallen im Gegensatz zur Liquidation zusätzliche Kosten, etwa für Stilllegung oder Abwicklung.

Das Substanzwertverfahren ist vergleichsweise einfach anzuwenden und hat seine Ursprünge im frühen 20. Jahrhundert. Dennoch hat es bis heute seine Berechtigung. Abweichend von der Bilanz werden stille Reserven aufgedeckt, werthaltige Lagerbestände sowie langlebige Maschinen adäquat berücksichtigt. Da zukünftige Erträge unberücksichtigt bleiben, bildet der Substanzwert häufig die untere Wertgrenze eines Unternehmens.

2. Das Ertragswertverfahren – Die Zukunft zählt mehr als die Vergangenheit

Der Ertragswert leitet sich aus den abgezinsten, zukünftigen Jahresüberschüssen ab. Er basiert auf den handelsrechtlichen Erträgen und Aufwendungen nach HGB. Zur korrekten Ermittlung hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) mit dem IDW S1-Standard eine anerkannte Methodik definiert, die als „Goldstandard“ gilt.

Der große Vorteil des Ertragswertverfahrens liegt darin, dass das zukünftige Erfolgspotenzial eines Unternehmens – gebunden in Mitarbeiter, Kunden, Prozessen, immateriellen Rechten und deren Zusammenspiel – in die Bewertung eingeht. Wesentliche Stellgrößen sind die Planungsrechnung (insbesondere das letzte geplante Jahr) sowie der Abzinsungsfaktor. Während letzterer objektiv ableitbar ist (z. B. aus Kapitalmarktdaten und Risikozuschlägen), ist die Planung stark unternehmensindividuell und hängt von strategischen Annahmen und Zielen ab.

Fehlende Marktkenntnis oder unrealistische Prognosen können zu stark verzerrten Ergebnissen führen. Deshalb sind sowohl bei der Planung als auch bei der Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes Fachkenntnis und Augenmaß erforderlich.

Hinweis: Das vereinfachte Ertragswertverfahren, das insbesondere für steuerliche Zwecke eingesetzt wird, führt in der Regel zu überhöhten Werten und ist nicht marktfähig. Für Transaktionen ist es daher ungeeignet.

3. Discounted Cash Flow (DCF) – Die internationale Variante des Ertragswerts

Das DCF-Verfahren ist ein international anerkanntes, finanzmathematisch fundiertes Bewertungsverfahren. Es basiert – ähnlich dem Ertragswertverfahren – auf abgezinsten zukünftigen Überschüssen, allerdings nicht auf Gewinnen, sondern auf Zahlungsströmen (Cashflows). Dadurch ist es unabhängig von der jeweiligen Rechnungslegung (HGB, IFRS, US-GAAP etc.).

Ein weiterer Vorteil liegt in der höheren Modellflexibilität: Annahmen zu Investitionen, Wachstum oder Finanzierung lassen sich detailliert abbilden. Wie beim Ertragswert sind allerdings auch hier fundierte Planungen und vorsichtige Annahmen erforderlich. Bei Geschäftsmodellen mit regelmäßigem Cashflow – wie Dienstleister oder Hersteller mit stabiler Nachfrage – liefern Ertragswert und DCF oft ähnliche Ergebnisse.

4. Das Multiplikatorverfahren – Was zahlen andere?

Das Multiplikatorverfahren – auch als „Praktikermethode“ bekannt – genießt insbesondere im Mittelstand große Beliebtheit. Es ist vergleichsweise einfach und marktorientiert. Dabei wird das Betriebsergebnis (meist EBIT oder EBITDA) mit einem Multiplikator versehen, der aus realen Transaktionen ähnlicher Unternehmen abgeleitet wird.

Ein Vorteil dieses Ansatzes: Er reflektiert die Sicht von Käufern und Verkäufern am Markt. Die Herausforderung liegt jedoch in der Auswahl und Anpassung geeigneter Vergleichsunternehmen. Besonders uneinheitlich ist die Wahl des Bezugswertes: Während Käufer tendenziell Vergangenheitswerte heranziehen (oft als Durchschnitt der letzten 3 Jahre), beziehen Verkäufer gerne auch zukünftige Erträge ein. Eine gemischte Betrachtung mit Gewichtung zugunsten aktuellerer Jahre ist oft sinnvoll.

Die herangezogenen Multiplikatoren können – je nach Branche, Größe und Region – stark streuen. Pauschale Faustformeln („5× EBIT“) sind riskant. Besondere Vorsicht ist bei Umsatzmultiplikatoren geboten: Größere Unternehmen erzielen zwar oft höhere Preise, aber entscheidend ist nicht der Umsatz, sondern die nachhaltige Ertragskraft.

Fazit: Welches Verfahren ist das richtige?

Eine pauschale Antwort gibt es nicht – die Wahl des Bewertungsverfahrens hängt vom Bewertungsanlass, der Branche, der Ertragsstruktur und dem Adressatenkreis ab. Für den Mittelstand in Deutschland ergeben sich jedoch typische Anwendungsschwerpunkte:

  • Substanzwertverfahren: Zur Absicherung nach unten, z. B. bei Liquidation oder Sanierung
  • Ertragswertverfahren: Für inhabergeführte Unternehmen mit stabiler Geschäftsentwicklung
  • DCF-Verfahren: Für kapitalmarktorientierte oder wachstumsstarke Unternehmen mit komplexer Struktur
  • Multiplikatorverfahren: Für Marktvergleiche, indikative Werteinschätzungen oder zur Plausibilisierung

In der Praxis bewährt sich ein Methodenmix: Substanz- und Ertragswert spannen eine bewertungsökonomische Bandbreite auf, das DCF-Verfahren bietet Tiefenschärfe bei Finanzmodellen, und das Multiplikatorverfahren reflektiert die Marktsicht. Dadurch entsteht ein realistischer Wertkorridor, der sowohl Käufern als auch Verkäufern Orientierung bietet.

Wichtig: Unternehmerinnen und Unternehmer sollten sich nicht auf Einzelwerte oder „Rechenformeln“ verlassen. Eine professionelle Unternehmensbewertung erfordert Erfahrung, betriebswirtschaftliches Know-how und Kenntnis der jeweiligen Branche. Skepsis ist angebracht, wenn Methoden unsachgemäß kombiniert oder exotische Ansätze verfolgt werden.

Gastautor