Agiles Arbeiten

Mit Agilität gegen den Wettbewerbsdruck

Mit seinem Start-up 4craft unterstützt Agilitäts-Coach Lars Guillium Unternehmen bei der Einführung von agilen Arbeitsprozessen. Ein Gespräch über Hintergründe und Erfahrungen, abseits des Hype.

Lars Guillium beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Agilität, zunächst im Personalmanagement bei der Deutschen Telekom. 2015 gründete der studierte Betriebswirt zusammen mit Kollegen das Beratungs-Start-up 4craft.
Lars Guillium
berät seit 2015 mit seinem Start-up 4craft Organisationen bei der Einführung agiler Arbeitsmethoden (Foto: PR)

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Wer braucht eure Hilfe bei der Einführung agiler Arbeitsmethoden?

Lars Guillium: Das ist ganz unterschiedlich. Manche Kunden haben von agilen Methoden gehört und möchten diese einfach kennenlernen. Andere suchen nach neuen Produktideen, weil ihr Kerngeschäft durch Veränderungen im Markt unter Druck gerät und benötigen unsere Unterstützung im Bereich Design Thinking. Wieder andere Kunden haben eine konkrete Produktentwicklung und eine agile Methode vor Augen und suchen dafür einen Profi, der das Team anleitet und durch die ersten Wochen begleitet. Mittlerweile kommen die meisten Kunden, weil sich ihr Wettbewerbsdruck erhöht.

Wie startet ihr in eine Beratung zum agilen Arbeiten? Was fragt ihr eure Kunden zum Auftakt?

Guillium: Die grundlegenden Fragen drehen sich um das warum und wozu. Warum möchte der Kunde von seiner bisherigen Arbeitsmethodik abweichen? Was macht eine Veränderung notwendig? Wozu möchte der Kunde agile Werkzeuge einsetzen? Welche Ziele sollen damit erreicht werden? Im Dialog entwickeln wir dann gemeinsam ein Verständnis dafür, ob agiles Arbeiten überhaupt hilfreich sein kann. Und wir klären die Veränderungsbereitschaft: wer möchte, dass wir mit den Menschen in der Organisation arbeiten? Stehen die Führungskräfte hinter einer Veränderung und sind sie bereit, dies im Projektverlauf auch entsprechend zu vertreten sowie als gutes Beispiel voranzugehen und neue Vorgehensweisen auszuprobieren? Diese Grundlage ist mir besonders wichtig. Ich habe selbst in meiner Zeit als Führungskraft leider immer wieder erlebt, dass Berater in ein Unternehmen kommen, die diese Grundlagen nicht geklärt haben. Betriebswirtschaftlich sind solche Einsätze dann sehr fragwürdig.

Wann eignen sich agile Methoden, wo sind weiterhin klassische Organisationsformen mit Hierarchien sinnvoller?

Guillium: Grundsätzlich kann man sagen, dass sich klassische Organisationsformen in stabilen und sich langsam verändernden Marktumfeldern bewährt haben. Allerdings sollte sich jeder die Frage stellen, wie stabil sein Marktumfeld ist. Bei dem einem Unternehmen dringt die Konkurrenz durch Digitalisierung mit neuen Produkten in den Markt, bei einem anderen ist es womöglich die Liberalisierung des Marktes, die neue Wettbewerber in Stellung bringt. Je dynamischer ein Marktumfeld ist, umso ratsamer ist es, die Prinzipien des agilen Arbeitens anzuwenden, um schneller reagieren zu können. Agil zu arbeiten bedeutet dabei keineswegs, nur auf eine Methode zu setzen. Man muss vielmehr die geeignete Methode je nach Situation verwenden. Das bedeutet, dass man im Unternehmen verschiedene Werkzeuge einsetzen und kombinieren kann. Für die Umsetzung neuer Produkte eignet sich Scrum, für das Management des Portfolios oder die Optimierung der Wertschöpfungsketten im Unternehmen eignet sich Kanban. Und wie bei jedem Produkt gilt auch bei den agilen Arbeitsweisen: sie sind kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu verbessern.

Wie lange dauert denn ein Beratungsprozess zur Einführung agiler Methoden?

Guillium: Insgesamt ungefähr zwei bis drei Monate. Am Anfang sind wir täglich vor Ort, helfen das erste agile Team aufzustellen, die nötigen Stakeholder im Unternehmen zusammenzubringen und ihre Aufgaben festzulegen. Später sind wir dann nur noch punktuell im Unternehmen, immer wenn in einem agilen Arbeitsprozess wichtige Ereignisse wie Sprintwechsel im Scrum oder eine Retrospektive im Kanban anstehen.

Mehr Vertrauen und Verantwortung in agilen Prozessen

Wie sind agiles Denken und Arbeiten in die Unternehmenskultur einzubringen?

Guillium: Durch handfeste Ergebnisse und Erfahrungen, welche die Menschen machen. Wir verstehen Kultur als Abbild von Handlungen und Verhaltensweisen. Wenn die Mitarbeiter also neue Erfahrungen machen und man die gewünschten Verhaltensweisen fördert, verändert sich die Kultur entsprechend. Das erreichen wir im agilen Arbeiten durch die Teamkonstellationen – also etwa durch crossfunktionale Teams, die fokussiert auf ein klares Ziel hinarbeiten. Zudem braucht es Regeln, die uns agile Methoden mitgeben, zum Beispiel klare Inhalte und Zeitvorgaben. In diesem Prozess agieren wir als Trainer nach dem Fahrschulprinzip: zuerst vermitteln wir die notwendige Theorie. In den Trainings wird die gleich auch praktisch angewendet und erlebt. Im Anschluss „fahren wir los“ und begleiten die Teams durch die ersten Kilometer. Dabei geht es uns weniger um das stupide Einhalten aller Regeln, sondern um das Verständnis, wozu diese Regeln da sind und das Erreichen der anfangs vereinbarten Ziele. Sobald unsere Teams selbstständig fahren können, steigen wir wieder aus. Ganz wie der Fahrlehrer.

Gibt es dann zum Einstieg eine Art Testfall oder stellt ihr die Teams im laufenden Prozess auf agiles Arbeiten um?

Guillium: Das ist gleich live. Da wird nichts getestet. Die Unternehmen investieren ja Zeit und Geld. Da wird dann direkt im Business entwickelt, verändert, umgestellt.

Gibt es auch Fälle, in denen die agilen Methoden sich nicht dauerhaft durchsetzen und die Organisation wieder in alte Arbeitsmuster zurückfällt?

Guillium: Ja absolut. Und Auslöser sind oft Managementwechsel, bei denen die neuen Verantwortlichen agile Methoden nicht ausreichend kennen oder vielleicht schon schlechte Erfahrungen gemacht haben. Umgekehrt bekommen wir aber auch sehr positives Feedback von Unternehmen, die das agile Arbeiten auf weitere Projekte oder Abteilungen ausweiten.

Also Führungskräfte sind ein wichtiger Faktor. Das bringt mich zur nächsten Frage. Was bedeuten Methoden wie Scrum oder Kanban für das Selbstverständnis von Führungskräften und Mitarbeitern?

Guillium: Agiles Arbeiten setzt auf einen hohen Grad an Eigenverantwortung und Selbstorganisation aller Beteiligten. Führungskräfte müssen mehr Loslassen in operativen Fragestellungen und klare Zielvorgaben für die Mitarbeiter machen. Das heißt sie müssen sich stärker auf die Entwicklung des Geschäfts und die Anforderungen der Kunden konzentrieren. Gleichzeitig müssen sie darauf achten, dass ihre Mitarbeiter die richtigen Skills haben und diese weiterentwickeln. Mitarbeiter müssen in agilen Arbeitsweisen mehr Verantwortung für ihre Arbeit beziehungsweise die Ergebnisse übernehmen. Die Detailkontrolle und das Anleiten in einzelnen Arbeitsschritten durch eine Führungskraft entfallen. Umso wichtiger ist es, dass sich Mitarbeiter mit der Aufgabe und dem Ergebnis identifizieren, um das Beste zu erreichen. In fast allen unseren Projekten erleben wir Teams, die neben besseren Ergebnissen auch noch mehr Spaß an der Arbeit haben.

Agilität braucht neues Führungsverständnis

Stichwort Identifikation: Es braucht also Mitarbeiter mit viel Eigenmotivation. Allerdings zeigen Studien, dass ein gewisser Prozentsatz der Mitarbeiter bereits innerlich gekündigt hat. Wird so etwas im Veränderungsprozess offensichtlich? Oder weckt agiles Arbeiten neue Motivation bei diesen Mitarbeitern?

Guillium: Definitiv. Es gibt leider vereinzelt Fälle, die innerlich bereits gekündigt haben. Da geht gar nichts mehr. Aber wir erleben zum Glück auch ganz viele Mitarbeiter, die wieder Motivation entwickeln. Oft wird in Organisationen nicht klar genug darüber gesprochen, welches konkrete Ergebnis erreicht werden soll und vor allem, welchen Vorteil der Kunde davon hat. Den Fehler habe ich früher selbst auch gemacht. Ein Ziel heißt auf einmal „Wir wollen Umsatzsteigerungen von 10 Prozent erzielen“, das ist eine finanzielle Kenngröße und spiegelt nur das Unternehmensinteresse wieder. Als Kunde möchte ich von einem Unternehmen allerdings Produkte und Lösungen, die mir einen Nutzen liefern. Wir beobachten, dass diese Perspektive leider oft vernachlässigt wird und fragen deshalb, was der Kunde will und ob das Unternehmen das auch liefern kann. Und wenn das klar ist, hat es auch einen sehr motivierenden Effekt auf die Mitarbeiter.

Was sind deiner Erfahrung nach die größten Stolpersteine bei der Einführung agiler Methoden in klassisch organisierten Strukturen?

Guillium: Menschen und Prozesse. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass einzelne Führungskräfte nicht bereit sind, sich auf agiles Arbeiten einzulassen und ihr Verhalten auf den Prüfstand zu stellen. Ohne die Führungskraft geht es jedoch nicht. Der zweite große Stolperstein, und vielleicht beeinflusst dieser das Verhalten der Führungskräfte, sind die Prozesse im Unternehmen. Diese sind aus der Vergangenheit heraus standardisiert und unterstützen die neuen Methoden nicht ausreichend. Agiles Arbeiten bedeutet insbesondere, Prozesse kontinuierlich in Frage zu stellen. Und damit verbunden muss auch die Bereitschaft in der Organisation gegeben sein, Prozesse und Governance neu zu regeln, wenn bessere Wege offensichtlich werden.

Braucht es auch eine neue Art von Manager? Und was muss der für Skills mitbringen? Und kann man die lernen oder muss man die „von Haus aus“ mitbringen?

Guillium: Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Führungskräfte schon über die Skills für agiles Arbeiten verfügen. Sie werden aber oft durch die Regeln und etablierte Verhaltensweisen im Unternehmen unterdrückt. Scrum basiert auf den Werten Selbstverpflichtung, Mut, Fokus, Offenheit und Respekt. In einer agilen Arbeitswelt und insbesondere während der Einführung müssen Führungskräfte bereit sein, diese Werte vorzuleben und dazu das eigene Verhalten immer wieder auf den Prüfstand zu stellen: Wie agiere ich in welcher Situation? Wie kommuniziere ich mit meinen Mitarbeitern? Gleichzeitig stehen Wirtschaftlichkeit und Kundennutzen im Vordergrund. Aufgaben dürfen nicht einfach in die Organisation delegiert werden, Vorgehensweisen und neue Anforderungen sollten immer zuerst hinterfragt werden: Wozu brauchen wir das? Und erst wenn ein klarer Mehrwert identifiziert ist, dann gehen Themen auch in die Umsetzung. Wer die Offenheit für solche Vorgehensweisen mitbringt, kann agiles Führen auf jeden Fall auch lernen.

Wie findet man den richtigen Zeitpunkt für den Einstieg ins agile Arbeiten?

Guillium: Der richtige Zeitpunkt für den Einstieg ins agile Arbeiten ist nach unserer Erfahrung gegeben, wenn die bisherigen Arbeitsformen nicht mehr die notwendige Reaktionsfähigkeit und Fokussierung auf den Markt erlauben. Als wir beispielsweise 2010 bei der Deutschen Telekom auf agiles Arbeiten umgestiegen sind, erfolgte dies aus der Erkenntnis heraus, dass unsere Produktentwicklungszeiten im Verhältnis zu den damaligen Wettbewerbern viel zu lang waren. Nur wenn eine klare Notwendigkeit und Dringlichkeit gegeben sind, kann in einer Organisation die erforderliche Veränderungsbereitschaft aufgebaut werden. Und diese ist enorm wichtig. Wir fragen deshalb am Anfang immer, welches Problem konkret mit agilen Methoden gelöst werden soll. Wenn die Antwort lautet, das macht ja jetzt jeder, das ist State-of-the-Art, ist das noch keine ausreichende Grundlage und eventuell der falsche Zeitpunkt.

Die richtige Arbeitsumgebung für agile Teams

Kommen die Impulse für euren Einsatz im Unternehmen aus dem Management oder auch von den Mitarbeitern?

Guillium: Beides. Erfahrungsgemäß sind die Erfolgschancen größer wenn es top down gewünscht ist. Denn dann ist die Bereitschaft da, an relevanten Prozessen etwas zu ändern, mit dem Betriebsrat über neue Betriebsvereinbarungen zu verhandeln. Oder zu überprüfen, wie die Incentivierungssysteme teamorientiertes Verhalten stärker fördern können. Wenn die Initiative aus der Mitte des Unternehmens kommt, kann es sein, dass wir irgendwann an eine gläserne Decke stoßen und die bereits erwähnte Notwendigkeit zur Veränderung noch nicht gegeben ist.

Welche Rolle spielen die richtige Technik und die passenden Räumlichkeiten für den Erfolg agiler Methoden?

Guillium: Eine große Rolle. Die Anforderungen an Technik und Räumlichkeiten sind so vielfältig wie die Aufgaben in einem Unternehmen. Agile Teams haben einen hohen Interaktions- und Kommunikationsbedarf und stellen schnell fest, wo es Optimierungsbedarfe gibt, die dann sukzessive umgesetzt werden müssen. Bis das passiert ist, können sich die Teams nur suboptimal auf ihre eigentliche Aufgabe fokussieren und die Performanz leidet.

Wie unterstützt ihr die Teams bei der Entwicklung der richtigen Arbeitsumgebung?

Guillium: Unterschiedlich. Aktuell begleiten wir einen Kunden, der parallel die Unternehmenszentrale umbaut. Die agilen Teams sind deshalb übergangsweise in einen Altbau mit kleinen Einzelbüros ausgelagert. Schrecklich. Da packen wir dann auch mal mit an und helfen, die Raumaufteilung für die Teams zu optimieren. Ziel ist es immer, eine einfache Kommunikation im Team zu ermöglichen. Aber auch bei umfassenden Optimierungen von Arbeitsumgebungen helfen wir unseren Kunden, die Skills zu nutzen, die schon im Unternehmen sind. Dann nutzen wir agile Ansätze, um mit einem crossfunktionalen Team aus IT-Experten, Architekten, Facility Managern und Arbeitsplatzdesignern die Arbeitswelt zu gestalten, in der andere agile Teams arbeiten und bei denen auch wirtschaftliche Rahmenbedingungen wie Flächeneffizienz berücksichtigt werden.



Was agile Teams brauchen:

Um agilen Teams von Beginn an ein optimales Umfeld bereitzustellen, ist folgendes zu beachten:

  • Agile Teams arbeiten eng zusammen: sie benötigen ausreichenden Raum, in dem sie sowohl konzentriert wie auch im Meeting zusammenarbeiten können. Das beschleunigt die Kommunikation im Team und reduziert Koordinations- und Wegezeiten für die Organisation von Meetings.

  • Agile Teams arbeiten transparent: sie benötigen Wandflächen, die mit Post its, Flipcharts oder Whiteboards gestaltet werden können. So ist ihr Fortschritt jederzeit sichtbar und vereinbarte Regeln sind immer im Bewusstsein.

  • Agile Teams realisieren Ergebnisse: die Teammitglieder benötigen die relevante Hard- und Software sowie geeignete Kommunikationsinfrastruktur zur Präsentation von Ergebnissen oder zur standortübergreifenden Abstimmung. Die Erledigung der Arbeit wird beschleunigt und die Qualität der Kommunikation wird gesteigert.

  • Agile Teams verbessern sich: die Teams entwickeln neue Erkenntnisse, wie sie ihre Arbeit noch besser erledigen können. Die bereitgestellte Infrastruktur sollte so flexibel sein, dass Anpassungen ohne großen Aufwand vorgenommen werden können.


 

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