Wenn aus Zinsen Käse wird
Statt sich von der Bank Geld zu leihen, geben viele Landwirte Genussscheine aus - und gewähren Renditen in Naturalien.
Franz Lenz ist in seinem oberbayerischen Dorf Zorneding als Biobauer ohnehin schon so etwas wie ein Exot. Und dann ist da auch noch die Sache mit seinem neuen Kuhstall. Franz Lenz schiebt eine schwere Türe auf, die zur Rückseite des Hofs führt. Hinter einer Hecke stehen seine Kühe, die auf der Weide grasen. Davor steht der ganze Stolz des 54-Jährigen: Der neue Kuhstall. 35 mal 22 Meter groß. Halboffen. Platz für 60 Kühe, Kälber, Jährlinge und den Stier Karli. Kostenpunkt: 180 000 Euro. Zur Hälfte finanziert von mehr als 60 Leuten, denen Lenz nun sieben Jahre lang Geld schuldet.
Statt den Stall komplett über die Hausbank zu finanzieren, wählte der Landwirt ein ungewöhnliches Modell, eine Art Crowdfunding: Gemeinsam mit der Münchener Organisation "Genussgemeinschaft Städter und Bauern" suchte er nach Investoren, die sich mit ihrem Geld am Bau des neuen Stalls beteiligen - indem sie Genussscheine kaufen. Das Besondere dabei ist, dass es zwei Zinsmodelle gibt: Entweder zwei Prozent in Geld - oder vier Prozent in Naturalien wie Fleisch, Kartoffeln oder Eier, einzulösen im hofeigenen Laden.
Und dann ist Franz Lenz, der Exot aus Oberbayern, gar nicht mehr so exotisch, wie so mancher Nachbar glaubt: Immer mehr Landwirte finanzieren ihre Ställe und Melkstände mit Genussscheinen. Rund hundert Landwirte sind es derzeit in Deutschland, schätzen Experten, die Tendenz ist steigend, auch wenn die Bauern noch ordentlich zu tun haben, bevor die Finanzierung steht. Lenz warb auf dem örtlichen Gewerbefest für sein Projekt, veranstaltete Infotage auf dem Hof - und erntete viel Skepsis aus der Nachbarschaft. "Es gingen sogar Gerüchte herum, dass ich pleite bin", sagt Lenz und schüttelt den Kopf.
Wer sich Geld von Fremden leiht und sie mit Kartoffeln entlohnt, macht sich verdächtig. Doch viele Leute, auch aus dem Dorf, waren neugierig geworden. Niedriger Sparzins, Angst vor Aktien - und gar mancher wollte einfach nur ein Stück Bauernhof besitzen. Innerhalb von nur fünf Wochen kamen so 99 500 Euro zusammen. Die Anteile reichten von 500 bis 2 000 Euro. Insgesamt 67 Menschen - vor allem aus dem Raum München - investierten in das Projekt Kuhstall.
Das war vor zwei Jahren. Seither statten seine Gläubiger, bewaffnet mit Weidekörben, Lenz regelmäßig einen Besuch ab, um im Hofladen Zinsgutscheine gegen Kartoffeln, Rindfleisch und Eier zu tauschen.
Auch in Norddeutschland haben Landwirte die Genussscheine für sich entdeckt: Ute und Erdmann Voss bewirtschaften einen Biobetrieb im schleswig-holsteinischen Krukow - nach den Vorgaben des Demeter-Vereins. Das Ehepaar Voss hat über Genussscheine einen Strohsilage-Verteiler und einen Käsekessel für die hofeigene Käserei angeschafft. "Hof-Aktie" nennen sie das Papier.
Die Nachfrage war so groß, dass sie nun auch noch den neuen Melkstand über Genussscheine finanzieren. Seit Mai dieses Jahres geben sie wieder Papiere aus - 50 000 Euro von 20 Investoren haben sie bereits eingenommen.
Für Landwirte wie Lenz oder Voss lohnt sich die ungewöhnliche Art der Geldbeschaffung: Sie locken neue Kunden auf den Hof, die über Jahre ihre Zinsgutscheine einlösen - und im Laden oder am Wochenmarktstand einkaufen. "Viele fühlen sich zudem mit dem Hof verbunden", erzählt Lenz. "Sie kommen am Wochenende und besuchen ,ihre' Kälber."
Doch das Geschäft mit den Genussscheinen will gelernt sein, und so holte sich Landwirt Lenz Rat bei Xaver Diermayr. Der 39-Jährige, selbst Landwirt, lebt auf einem Bauernhof in Oberösterreich. Der Betriebswirt betreute fünf Jahre den Bereich nachhaltige Geldanlagen bei einer Bank in München, ehe er den elterlichen Hof übernahm. Heute berät Diermayr Landwirte, die Genussscheine ausgeben wollen. Einige haben die Höfe nur gepachtet und bieten daher nicht die Sicherheiten, die Banken für einen Kredit fordern. Oder sie wollen eine alternative Finanzierung ausprobieren, so wie Landwirt Lenz. Diermayr lässt sich dann von den Bauern die Bücher zeigen, prüft, ob sie die Darlehen überhaupt zurückzahlen können. "Außerdem gibt es einige rechtliche Fallstricke", warnt Diermayr. "Wer die nicht beachtet, für den wird es kritisch."
Schwierigkeiten können Landwirte mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) bekommen. Zwar sind Landwirte keine Banker oder Finanzdienstleister und werden daher nicht von der Bafin beaufsichtigt. Wenn sie jedoch Wertpapiere - unter die auch Genussscheine fallen - öffentlich anbieten, gilt auch für sie eine Prospektpflicht. Die umgehen die Landwirte, indem sie zum Beispiel unter einer Darlehensgrenze von 100 000 Euro bleiben.
Auch Investoren sollten sich vorher informieren, denn ihre Forderungen sind nur nachrangig geregelt. "Die Anleger sind also nicht geschützt", erklärt Experte Diermayr. Und auch wenn sie statt Geld Kartoffeln und Fleisch bekommen, ist der Wert als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu versteuern, mahnt das Bundesfinanzministerium. Landwirt Lenz stellt daher eine Zinsbescheinigung aus, den der Anleger beim Finanzamt einreichen muss.
Für die Landwirte hat das Genussrechtekapital Vorteile, denn es gehört steuerrechtlich zum Fremdkapital. Wirtschaftlich kann es aber dem Eigenkapital zugerechnet werden, erklärt Experte Diermayr. Und das erhöht wiederum die Bonität der Landwirte. Genussscheine sind dabei wie eine Anleihe, die der Anleger kündigen kann und die Investition zurückerhält.
Beim nächsten Genussschein-Projekt würde Landwirt Lenz nur eines anders machen: Er würde eine Tilgung mit-einbauen, um früher schuldenfrei zu sein. Für die Investoren hieße das dann aber auch: weniger Zinserträge. Also auch weniger Fleisch, Kartoffeln und Eier.
Das interessiert andere Leser
-
Wann beginnt die große Insolvenzwelle?
Die Politik versucht, die Insolvenzwelle mit allen möglichen Mitteln abzuwenden. Unsere Umfrageergebnisse zeigen jedoch, dass zum 1. Quartal 2021 ein klarer Anstieg bei Insolvenzanträgen erwartet wird.
-
Commerzbank und Deutsche Unternehmerbörse DUB.de verlängern ihre Kooperation zur Unternehmensnachfolge
Die Commerzbank und DUB.de verlängern die Zusammenarbeit zur Unternehmensnachfolge, um Unternehmer auch weiterhin beim Nachfolgeprozess zu unterstützen.
-
Trügerische Sicherheit: Insolvenzen in Deutschland unter Vorjahresniveau
Die erwartete Insolvenzwelle ist bisher ausgeblieben, doch könnten die Antragsstellungen im ersten Quartal 2021 wieder deutlich zunehmen.
-
Mit präventiven Sanierungsverfahren Insolvenzen vermeiden
Ab dem kommenden Jahr soll es Unternehmen leichter gemacht werden, sich auch ohne der Insolvenzverfahren einer finanziellen Rekonstruierung zu unterziehen.
-
Wie haftet die Geschäftsführung in der Insolvenz?
Es droht eine Insolvenz? In welcher Form haftet der Geschäftsführer und welche Möglichkeiten gibt es um Haftungsrisiken zu vermeiden?
-
Neue Möglichkeiten für die Unternehmenssanierung
Präventive Restrukturierung heißt: Unternehmen frühzeitig sanieren, bevor es zu einem Insolvenzverfahren kommt. Mit dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen soll es 2021 ein neues Werkzeug geben.
-
Jetzt erfolgreich IT- und Software-Unternehmen übergeben
Das DUB Whitepaper bündelt Expertise und Ratschläge rund um den Nachfolgeprozess in der IT- und Software-Branche. Jetzt kostenlos herunterladen!
-
So finden Sie das passende Franchise-System
Das geeignete Franchise-System zu finden ist keine leichte Aufgabe. Doch wenn Sie die richtigen Fragen zur richtigen Zeit stellen, kommen Sie Ihrem Ziel einen großen Schritt näher.
-
Insolvenzantrag stellen - Zahlungsunfähig oder nicht?
Der „Lockdown light“ könnte etliche Unternehmer in eine finanzielle Notlage bringen. Doch ab wann eine „Zahlungsunfähigkeit“ vorliegt und was es dabei zu beachten gilt, erklärt Rechtsanwalt Björn Schwencke.
-
Familienstiftung neu gedacht – eine besondere Form der Holding
Gesellschaftsverträge, Gesellschaftervereinbarungen, Testamente, Erbverträge und Steuern – gefühlt beschäftigt sich ein Mandant mit nichts anderem, wenn er sein Unternehmen in die nächste Generation ...
-
Die Angst vor der Unternehmensübergabe
Gespräch mit Nils Koerber, Gründer und Inhaber von KERN – Unternehmensnachfolge. Außerdem verlosen wir 5 Fachbücher zur Unternehmensnachfolge im Wert von je 29,00 Euro. Jetzt teilnehmen und gewinnen!
-
Erfolgreiche Nachfolgelösung der Metallbau Kaiser GmbH
Der Weg der Metallbau Kaiser GmbH zur international tätigen JAZO-Unternehmensgruppe gelingt mit Hilfe der Deutschen Unternehmerbörse, nachdem eine interne Nachfolge fehlschlug.
-
Insolvenz im Mittelstand - 45 Prozent könnten betroffen sein
Manche Experten rechnen bereits für das Jahresende mit einem deutlichen Anstieg der Zahlen bezüglich Insolvenzen. Besonders betroffen: der Mittelstand
-
Handelsblatt Symposium: Sanierungs- und Insolvenzrecht 2020
Am 22. Oktober 2020 diskutieren Top-Experten in Düsseldorf über die Zukunft der Sanierung von Unternehmen. Wie kann die Umsetzung der EU-Richtlinien gelingen und welche Wege aus der Krise gibt es?
-
Unternehmensnachfolgerinnen des Jahres ernannt
Zum dritten Mal wurde der Next Generation Award verliehen. Der Verband deutscher Unternehmerinnen möchte durch diesen Preis die Leistungen von Frauen in der Unternehmensnachfolge herausstellen.
-
Franchise Expo 2020: Online Edition
Dieses Jahr findet die Franchise Messe 2020 nicht in Frankfurt, sondern online statt. Blättern Sie hier vorab durch das virtuelle Messemagazin.
-
Geschäftsführer stirbt, was nun?
Was passiert eigentlich mit dem Unternehmen, wenn ich von heute auf morgen nicht mehr da bin? Folgende 4 Punkte gehören in jeden Notfallplan.
-
Nachfolgemangel in der Logistikbranche
Immer mehr prädestinierte Nachfolger möchten ihren eigenen Weg gehen und nicht in die Fußstapfen der Eltern. Wie ist es um die Nachfolgesituation in der Logistikbranche bestellt?
-
Auswirkungen der Corona-Epidemie auf den Unternehmenskaufpreis
Viele Unternehmen konnten durch staatliche Hilfsmaßnahmen durch die Krise gebracht werden. Kommt nach dem Ende der Maßnahmen im Herbst die große Insolvenzwelle?
-
Wie kaufe ich ein Unternehmen aus der Insolvenz?
Die Pandemie hat dazu geführt, dass viele Unternehmen heute insolvent sind, obwohl sie eigentlich ein funktionierendes Geschäftsmodell aufweisen. Für Investoren bieten diese eine echte Chance.
-
DUB-White Paper: Übernahme im Gastronomiegewerbe
Das exklusive DUB-Whitepaper: „Eigener Chef in der Gastronomie“ bringt Sie in die optimale Startposition und ist ihr idealer Ratgeber für den Einstieg in die Herausforderung „Unternehmenskauf“.
-
Chef gesucht!
Einen Geschäftsführer mit Unternehmerkompetenzen und finanzieller Ausstattung zu finden ist die Kür der Nachfolgeberatung. Worauf kommt es dabei an und wie gelingt die Übergabe erfolgreich?
-
Das Exposé: Grundlage für einen erfolgreichen Unternehmensverkauf
Über ein Exposé sollen sich potentielle Käufer eines Unternehmens umfassend über das zu verkaufende Unternehmen informieren können. Was dort unbedingt hinein gehört, lesen Sie hier.
-
Märklin, Schiesser und Matratzen Direct: Ihr Weg aus der Insolvenz
Eines haben die drei Traditionsunternehmen gemeinsam: Ihnen gelang ein gelungener Neustart. Sie zeigen, dass eine Krise nicht unbedingt ein Zeichen von Schwäche, sondern eine Chance für eine Neuausrichtung ...
-
Earn-outs beim Unternehmensverkauf - Vorsicht vor Fallstricken
Eine Kaufpreissplittung muss zuweilen her: Earn-Outs können bei der Abwicklung der Unternehmensnachfolge helfen. Ganz ohne Risiko ist dieses Verfahren jedoch nicht
-
PE-Fonds bei KfW-Darlehen jetzt im Nachteil
Unternehmen im Besitz von Private-Equity-Investoren erhalten seit Anfang Juni keine finanzielle Hilfe durch die KfW. Welche Hintergründe hat dieser Beschluss?
-
Unternehmensverkauf über eine Auktion oder einen Einzelprozess?
Ein Unternehmensverkauf kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Die Vor- und Nachteile eines Einzelprozesses und einer Auktion fasst Gastautor Patrick Seip zusammen.
-
Umfrage: Das Ende der familieninternen Unternehmensnachfolge?
DUB.de hat Unternehmer und Nachfolger zu ihren Erfahrungen zu abgeschlossenen oder noch laufenden Nachfolgeprozessen befragt. Hier sind die Ergebnisse.
-
Haftung bei der Übernahme insolventer Unternehmen
Wer insolvente Firmen kaufen möchte und die Haftung vermeiden will, sieht sich mit einigen Begriffen und Gesetzen konfrontiert. Dabei ist die Materie gar nicht so komplex.
-
Restrukturierung von Pensionszusagen
Welche Möglichkeiten bieten Pensionspläne, um in der Corona-Krise liquide zu bleiben? Ein aktuelles Praxisbeispiel zeigt, wie es geht.