Künstliche Intelligenz
„Watson spricht bayrisch“
Das DUB UNTERNEHMER-Magazin sprach mit Martina Koederitz, Vorsitzende der Geschäftsführung von IBM Deutschland, über kognitive Technologien, die Notwendigkeit zu digitalisieren, treibende Innovationskraft und gelebte Führungskultur.
Martina Koederitz (Bild: PR)
Die Menschheit produziert nach Angaben von IBM jeden Tag mehr als 2,5 Trillionen Bytes an Daten. 80 Prozent davon sind unstrukturiert und für herkömmliche Technologien unsichtbar. Nicht aber für Watson. Das sogenannte kognitive System aus dem Hause IBM ist in der Lage, immense Datenmassen zu verstehen, aus ihnen zu lernen und einen Sinn darin zu erkennen. Das DUB UNTERNEHMER-Magazin sprach mit Martina Koederitz, Vorsitzende der Geschäftsführung von IBM Deutschland und General Manager DACH-Region, über Möglichkeiten, aus Big Data mithilfe solcher Technologie Smart Data zu machen – und wie das sogenannte Cognitive Computing in Zukunft helfen kann, heute scheinbar noch unlösbare Herausforderungen zu meistern.
DUB UNTERNEHMER-Magazin: Das Thema Cognitive Computing ist für viele Unternehmer noch eine Terra incognita, IBM spricht von einer Ära. Was verbirgt sich hinter der Technologie, und welche Möglichkeiten bietet sie?
Martina Koederitz: Wir werden heute von Informationen überflutet. Deshalb brauchen wir intelligente Systeme wie IBM Watson, die uns helfen, die Flut zu bewältigen und aus Big Data Smart Data zu machen. Es geht darum, Daten besser zu verstehen und richtige Schlüsse daraus zu ziehen. Auf der CeBIT haben wir viele Lösungen des Cognitive Computings präsentiert. Watson ist ein lernender Hochleistungscomputer, der unter anderem Bild- und Videodaten lesen sowie menschliche Sprache verstehen und artikulieren kann. Watson erkennt obendrein maschinell und handgeschriebene Texte, kann sie verstehen und analysieren. Unsere kognitiven Lösungen sollen letztlich helfen, neue Businessideen zu entwickeln, um etablierte Prozesse automatisierter, optimierter, intelligenter, schneller und am Ende besser zu machen.
Klingt gut, aber akademisch. Können Sie auch von einem Praxisbeispiel berichten?
Koederitz: Bei einer bayerischen Versicherungsfirma setzen wir Watson ein, um im Beschwerdemanagement Kundenfeedbacks der Versicherungskammer intelligent und automatisch zu erfassen und zu lesen. Dabei werden die deutsche Sprache und ,bayerischer Unmut‘ interpretiert – und automatisiert entschieden, in welche Sachbearbeitungskategorie der Vorgang gehört. Bis hin zur Defiition, was ein Bagatellfall ist. Watson wurde dafür trainiert, spricht sozusagen bayrisch. Ein solcher Prozess ist für alle Bereiche einer Versicherung relevant – und für Kundenbeschwerdeprozesse in allen Branchen.
Die logische Folgen wären dann doch vollautomatisierte Beratungs- und Beschwerdeprozesse?
Koederitz: Es kommt darauf an, was unser Kunde will. Möchte er grundsätzlich mit Kunden interagieren, um Mehrwerte und Produkte zu verkaufen? Das ist eine Frage der Unternehmensstrategie. Aber Sie haben recht: IBM möchte den nächsten Schritt gehen – ähnlich wie beim autonomen Fahren. Hier werden in Echtzeit viele Auto-, Verkehrs-, Geo- und Wetterdaten miteinander korreliert und ausgewertet, um bestmögliche Entscheidungen zu treffen.
Mit welchen Kunden arbeiten Sie an Lösungen?
Koederitz: Im Retailbereich zum Beispiel mit Northface. Der Bekleidungshersteller setzt unsere Technologie ein, um personalisiertes Shopping über seine App zu professionalisieren. Der Online-Weinhändler VineSleuth wiederum spricht so individuelle Weinempfehlungen aus. Unser Geschäftsfeld ist überall dort, wo Schnittstellen zu Kunden individualisiert, personalisiert und optimiert werden können.
Welche Rolle spielt der Datenschutz?
Koederitz: Hierzulande wird viel über Privatsphäre und Datenschutz diskutiert. Wir erörtern das Thema intensiv mit unseren Kunden. Wir erzeugen so Transparenz und bauen Vertrauen in die IT auf. Im Sinne unserer Kunden agieren wir weltweit gesetzeskonform und stellen für die Technologie so die bestmöglichen Rahmenbedingungen sicher. Auch Aufklärung gehört dazu: Ein Großteil der Daten ist nicht personenbezogen. Big Data hat also nicht immer etwas mit der sogenannten Data Privacy zu tun. Das muss man wissen.
Welche Branchen sind aus Ihrer Sicht prädestiniert, um Cognitive Computing zu nutzen?
Koederitz: Im Automobilsektor und in der Versicherungsbranche gibt es naheliegende Anwendungsgebiete. Deshalb bauen wir in München Kompetenzzentren für diese Segmente auf. Darüber hinaus sind unsere Lösungen für viele Industrie-4.0-Bereiche interessant. Schon in ein bis zwei Jahren dürfte gut die Hälfte der Verbraucher mit Services in Kontakt kommen, die sich aus Cognitive Computing speisen, insbesondere in Bereichen wie Gesundheit und Mobilität sowie bei Unternehmen wie Bosch, Siemens und Philips. Ich gehe davon aus, dass die Entwicklung auch hier schneller ist als erwartet – ähnlich wie beim Siegeszug des Smartphones.
Mancher Mittelständler betrachtet die Digitalisierung immer noch skeptisch und fürchtet sogar, jetzt sämtliche Geschäftsmodelle auf den Kopf stellen zu müssen.
Koederitz: Möglicherweise fühlen sich viele überfordert. Quasi über Nacht etablieren sich disruptive Geschäftsmodelle, die existente revolutionieren. Uber besitzt kein einziges Taxi und ist doch einer der größten Mobilitätsdienstleister der Welt. Die Deutschen sind Weltmeister, was die automatisierte, optimierte Fertigung betrifft. Jetzt aber gilt es umzudenken. Denn die digitale Welt kommt nicht aus der Produktion, sondern immer vom Markt. Was wünscht mein Kunde heute, was will er morgen? Und wie kann ich als Unternehmen seine Bedarfsstruktur optimal bedienen und begleiten?
Ist IBM selbst ein Getriebener der Digitalisierung?
Koederitz: Natürlich gibt es auch Unternehmen wie beispielsweise Start-ups, die uns in diesem Bereich das Leben erschweren. Deshalb unterscheiden wir uns über ein exzellentes Netzwerk von Partnerschaften, über das wir unseren Kunden immer neue und völlig andere Kompetenzen anbieten können. Wir sehen uns als Innovationstreiber, Unternehmen wie Allianz, Lufthansa und Deutsche Bank vertrauen uns. Und wir garantieren, dass unsere Kunden ihr Tagesgeschäft verlässlich und stabil abarbeiten können. Das geht nicht ohne Innovationen.
Sie arbeiten aber – trotz tendenzieller Konkurrenz – auch mit Start-ups zusammen.
Koederitz: Ob etabliertes Unternehmen oder Start-up – in unserem Selbstverständnis sind wir Partner und eine helfende Hand, damit Unternehmen nicht alles selbst machen müssen. Seit letztem Jahr etwa arbeiten wir mit Tech-Berlin zusammen. Über das Portal können alle Start-ups auf unsere Technologien und Services zugreifen. Mit Watson als High-End-Lösung bis hin zu klassischen Services können sie ihre Ideen mit uns schnell realisieren.
Mit Virginia Rometty und Ihnen stehen bei IBM zwei Frauen an Spitzenpositionen. Was macht Ihr Unternehmen anders als ein Großteil der Industrie?
Koederitz: Das Vielfaltsprinzip ist Teil unserer DNA. Natürlich kommt das aus den USA, wo sich das Thema Diversity schon viel früher etabliert hat. In Deutschland galt über viele Jahre eher das „Ernährermodell“. Das bricht derzeit auf. Die Industrie versucht derweil, mehr Frauen für technische Berufe und Studiengänge zu begeistern. Frauen in Führungspositionen sind für mich eher eine Frage gelebter Kultur, weniger einer Quote. Die kann temporär ein Hilfsinstrument sein, aber wenn sich ein Mensch nachhaltig in einem Unternehmen entwickeln, begeistern und auch in der Führungsebene nach oben möchte, dann muss sich dieser Mensch in der Kultur wohl- und akzeptiert fühlen. Das wiederum kann eine Quote auf Dauer niemals lösen.
Das Wichtigste im Überblick
- Kognitive Technologien helfen, Daten besser zu verstehen und Erkenntnisse zu nutzen.
- Kognitive Lösungen werden sich in Branchen wie Gesundheit und Mobilität schnell etablieren.
- Frauen in Führungspositionen sind eine Frage der gelebten Kultur, weniger eine der Quote.
Das interessiert andere Leser
-
Franchise mit Köpfchen – die Nachhilfe-Branche unter der Lupe
Studienkreis konnte auch dieses mal die Tester überzeugen und wird erneut „Testsieger der Nachhilfe-Institute“.
-
Management-Buy-Out als Nachfolgestrategie für Familienunternehmen
Traditionelle Konzepte zur Unternehmensnachfolge lassen sich im deutschen Mittelstand immer seltener realisieren. Vor allem Management-Buy-Out erfreut sich immer größerer Beliebtheit.
-
Unternehmensnachfolge im Mittelstand
Mehr und mehr Unternehmensinhaber prüfen den Firmenverkauf an externe Käufer. Die Nachfolge im Mittelstand bleibt dennoch ein drängendes Problem, zeigt eine Untersuchung der KfW.
-
Wie ein harter Brexit deutsche Familienfirmen trifft
Ein ungeregelter Austritt Großbritanniens träfe die hiesigen Familienunternehmen ins Mark. Vor allem in Verbindung mit dem deutschen Erbschaftssteuerrecht müssen Unternehmer böse Folgen fürchten.
-
Jagd nach Talenten
Eine hohe Beschäftigungsrate und die lange florierenden Konjunktur machen es den Talent-Scouts nicht leicht. Firmen müssen ihre Suche nach Kandidaten deshalb umstellen.
-
Insolventes Unternehmen kaufen, ja oder nein?
Eine insolvente Firma zu übernehmen lohnt sich sicher nicht immer. Aber der Kauf bietet auch die Möglichkeit eines schnellen, günstigen Markteinstiegs. Welche Gründe sprechen dafür?
-
Franchise bleibt weiterhin auf Erfolgskurs
Die Branchenstatistik des Deutschen Franchsieverbandes belegt es: Der Markt entwickelt sich auch weiterhin positiv. Die wichtigsten Zahlen und Erkenntnisse finden Sie hier.
-
Tipps für externe Nachfolger: So finden Sie Ihr Unternehmen.
Der Traum vom eigenen Unternehmen beschäftigt viele Manager, die sich über Jahre konsequent auf der Karriereleiter nach oben gearbeitet haben.
-
Green Key-Empfehlung für mobilen Fritteusenservice
Franchisegeber FiltaFry, gehört zu den ersten Lieferantenservices, die durch die DGU (Deutsche Gesellschaft für Umwelterziehung) das Green Key Eco-Label erhielten.
-
Franchise Expo 2019 – die erfolgreiche Messe geht in die zweite Runde
Das Jahr 2019 hat gerade erst begonnen und die deutsche Franchisewirtschaft kann sich bereits jetzt auf die nächste Franchise Expo (FEX19) in Frankfurt freuen.
-
Immer mehr Senior-Inhaber suchen einen Nachfolger
Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage bei der Unternehmensnachfolge geht weiter auseinander. Der Fachkräftemangel und das neue Erbschaftssteuerrecht hemmen Übernahmeinteressierte.
-
Am abheben: der Franchise Klima Index verbreitet Optimismus
Der Deutsche Franchiseverband hat vor einem halben Jahr zum ersten Mal die Stimmungslage am Franchisemarkt eruiert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
-
Nachfolge im Franchise
Als Franchisenehmer mit wenig Eigenkapital zum eigenen Unternehmen? Ein Beispiel aus Ravensburg zeigt, wie der Weg zur Gründung aussehen könnte.
-
Zurück an die Weltspitze
Damit Deutschland erfolgreich bleibt, braucht es eine Kreativwende, fordern Martin Blach, Bernd Heusinger und Marcel Loko von der Hirschen Group.
-
Vom Hype zur Realität
Führungskräfte müssen lernen zu differenzieren: Hype hin oder her – nicht alles, was Start-ups vorleben, ist unreflektiert zu übernehmen. Wo Sie abwägen sollten, sagt TK-Chef Dr. Jens Baas.
-
Profi-Sparring
Wie ein neuer Chef eine Agentur repositioniert, während der Gründer noch an Bord ist. nachgehakt bei Jens Huwald, Wilde und Partner.
-
Ist mein Unternehmen zukünftsfähig?
Gratis: DUB startet Deutschlands größte Unternehmer-Umfrage – zusammen mit KPMG und den Hochschulen in Paderborn und Regensburg. Am Schnelltest teilnehmen und sofort Auswertung erhalten!
-
Leasing-Spezial: Alles ist leasebar
Längst bieten sich für Unternehmer Möglichkeiten, Innovationen und andere Investitionen mit Leasingpartnern zu realisieren. Experten und Vertreter evon Leasinggesellschaften erklären, welche ...
-
Wahre Kunst
Art on the Wrist – so beschreibt Alexander Shorokhoff seine Uhren. Denn die mutigen Kreationen des Avantgardisten sind keineswegs Standard.
-
Standards im Systemmanagement
Die Systemzentrale hat eine weitaus größere Rolle als nur die Lizenzen an Franchisenehmer zu vergeben. Wie ein Co-Manager hilft sie dabei, das Franchisesystem zu etablieren und erfolgreich zu führen.
-
Dauerbrenner Digitalisierung: Viel Potential für M&A-Deals in der IKT-Branche
Geschäftsübernahmen und Firmenverkäufe, kurz M&A, in der IKT-Branche sind noch ausbaufähig. Begehrt sind KMU Unternehmen, die Digitalisierungsprofis sind.
-
Welcher Unternehmertyp sind Sie? Und was bedeutet das für Ihre Gründung?
Wer mit dem Gedanken spielt, eine Firma zu zu gründen, wird früher oder später über die Frage stolpern, ob er überhaupt ein Unternehmertyp sei. Aber gibt es überhaupt den Idealtypus eines Unternehmers?
-
Spezial Betriebliche Vorsorge: Vorteile für Chefs und Angestellte
Ob Betriebsrente, Krankenversicherung oder Arbeitskraftabsicherung: So können Unternehmer mit Rundum-Service punkten
-
GEM-Studie 2018: Angst zu scheitern, hemmt Deutsche beim Unternehmen gründen
Geschäftsidee entwickeln, für die Finanzierung sorgen, Unternehmen gründen, Erfolg haben – so zuversichtlich könnten Deutsche an das Thema Selbständigkeit herangehen. Dass dem nicht so ist, zeigen die ...
-
Worauf sollten Händler aufpassen, wenn sie ihren eBay Shop oder Amazon Shop verkaufen möchten?
Wer ein erfolgreiches Unternehmen geführt hat, möchte beim Verkauf auch einen angemessenen Preis dafür erzielen. Doch, wie funktioniert das mit Webshops, eBay Shops und Amazon Shops?
-
Mittelstandsfinanzierung ohne Bank
Sie wollen Ihr Unternehmen voranbringen? Doch die Bank macht Ihnen das Leben schwer, verlangt immer neue Dokumente und prüft und prüft und prüft?
-
Neuer DUB-Branchenbaum 2018
Wir haben den Branchenbaum vereinfacht. Branchen wurden neu sortiert und Teilbranchen zusammengelegt. Was Sie jetzt bei Ihren Inseraten und Suchen beachten sollten.
-
Digitale Kundenansprache meistern
Bei der digitalen Customer Journey haben deutsche Unternehmen noch Nachholbedarf. Professor Julian Kawohl von der Hochschule für Technik und Wirtschaft erläutert, wo es hakt.
-
Rückblick auf den WHU Campus for Family Business 2018
In Workshops und Podiumsdiskussionen tauschten sich die 160 Teilnehmer, überwiegend etablierte Familienunternehmer sowie die Nachwuchsgeneration, zu ihren Erfahrungen aus.
-
Externe Unterstützung willkommen – das Eigenkapital der Familienunternehmen wird knapp
Familienunternehmen müssen sich mehr und mehr Investoren von außen öffnen. Eine Studie, die dem Handelsblatt vorliegt, analysiert die Ursachen für diese Entwicklung.