„Ziel: Digitale Bildung ausbauen“

Was bringt die Digitalisierung? Jobverluste aufgrund sich verändernder Berufsbilder oder goldene Perspektiven? Brigitte Zypries, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, verrät, welche Weichen sie stellen will, um Prosperität zu wahren.

Voll fokussiert: Brigitte Zypries während der Sitzung des Bundeskabinetts (Foto: dpa/Kay Nietfeld)

Deutschlands Ökonomie läuft wie eine gut geölte Maschine. Der Wachstumspfad ist solide. Der Beschäftigungsstand befindet sich mit rund 43,5 Millionen Erwerbstätigen auf einem Rekordhoch. Eitel Sonnenschein also und Zeit, einmal durchzuatmen? Weit gefehlt. Die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft wirft längst nicht mehr nur ihre Schatten voraus, sondern ist in vollem Gange. Der Wandel von der gut geölten Maschine zum klug programmierten Roboter könnte Arbeitsplätze kosten und damit zudem für Unruhe sorgen. Wir haben Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) befragt, ob und wie die Regierung vorbereitet ist.

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Die Wirtschaftsweisen schätzen die Entwicklung der deutschen Wirtschaft derzeit optimistisch ein. Trotzdem sind viele Menschen verunsichert und sorgen sich vor Armut, teuren Mieten in den Großstädten oder Arbeitslosigkeit aufgrund sich wandelnder Berufsbilder im Zuge der Digitalisierung.
Brigitte Zypries: Die deutsche Wirtschaft brummt. Deutschland steht mit niedriger Arbeitslosigkeit und einem soliden Wachstumspfad gut da. Der Beschäftigungsstand ist mit rund 43,5 Millionen Erwerbstätigen auf einem Rekordhoch. Die realen Nettolöhne sind in dieser Legislaturperiode um mehr als 1,4 Prozent pro Jahr gestiegen. Hier hat die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode einiges erreicht, insbesondere bei der Teilhabe am Arbeitsmarkt. Aber Wachstum und Wohlstand kommen nicht bei allen Menschen an. Der Alltag Vieler ist von befristeter Beschäftigung, niedrigen Löhnen oder mangelnder Perspektive auch für die nachfolgende Generation geprägt. Während die verfügbaren Einkommen im oberen Bereich zwischen 1991 und 2014 real um 26 Prozent zulegten, nahmen mittlere Einkommen nur um gut 8 Prozent zu und untere Einkommen gingen sogar leicht zurück. Es gibt eine steigende Zahl an Leiharbeitnehmern und auch die Zahl der Minijobber ist mit fast fünf Millionen nach wie vor sehr hoch. Eine vierköpfige Familie, die beispielsweise weniger als 2000 Euro netto im Monat zur Verfügung hat, hat angesichts gestiegener Mietpreise Schwierigkeiten damit im Monat über die Runden zu kommen, geschweige denn, etwas für den Nachwuchs anzusparen. Anspruch der Sozialen Marktwirtschaft ist es aber, Wettbewerb und Leistungsfähigkeit mit sozialem Ausgleich und Teilhabe am gesellschaftlichen Fortschritt und Wachstum zu verbinden. Daraus leiten sich die zentralen wirtschaftspolitischen Aufgaben für die nächsten Jahre ab.

An welchen Stellschrauben muss die Politik Ihrer Meinung nach drehen, um für nachhaltiges Wachstum in einer sich wandelnden Wirtschaft zu sorgen?
Zypries: Ziel muss es sein, die Zukunftsfähigkeit Deutschlands gerade durch größere Teilhabe der Menschen am wirtschaftlichen Wohlstand, also inklusivem Wachstum, zu stärken. Hierzu habe ich einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, der ein Beitrag zur notwendigen Debatte sein soll. Darin werden konkrete Vorschläge benannt, wie es uns gelingen kann, die Menschen fair am weiteren Wachstum zu beteiligen.

Was schlagen Sie konkret vor?
Zypries: Einige Vorschläge haben wir bereits zuvor gemacht, andere sind neu. Es ist Zeit, für Unternehmen eine steuerliche Förderung von Personalaufwendungen im Bereich von Forschung und Entwicklung einzuführen. Wir brauchen zudem einen Vorrang für Investitionen, einen Ausbau der Bildungschancen, gerade beim Thema Digitalisierung von Berufsschulen und digitalen Weiterqualifizierungsangeboten, sowie bessere Rahmenbedingungen für Innovationen. Wir wollen etwa kleine und mittlere Einkommen entlasten, im unteren Bereich gegebenenfalls auch bei den Sozialbeiträgen. Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Sie sprechen das Thema Digitalisierung an. Wo gibt es dort die größten Defizite?
Zypries: Bei der Digitalisierung muss es vor allem beim Thema digitale Infrastruktur schneller vorangehen. Hier hat Deutschland Nachholbedarf, mit einer durchschnittlichen Verbindungsgeschwindigkeit von 13,7 Mbit/s liegt Deutschland international nur auf Platz 26. Beim autonomen Fahren oder im Bereich Cloud-Computing brauchen wir Übertragungsgeschwindigkeiten, die weit über dem liegen, was den meisten heute zur Verfügung steht. In den Städten ist die Breitbanddichte noch höher, aber auf dem Land sieht es hier mau aus. Zum wirtschaftlichen Erfolg tragen aber gerade viele Hidden Champions bei, die ihre Standorte im ländlichen Raum haben und dort den jungen Leuten Beschäftigung und Perspektive geben. Hier entstehen die Innovationen, die uns heute erfolgreich machen. Wenn wir auch künftig noch einen wettbewerbsfähigen Standort haben wollen, brauchen wir notwendige Netzinvestitionen von bis zu 100 Milliarden Euro bis 2025 für unseren Weg in die Gigabitgesellschaft. Dazu haben wir die Einrichtung eines „Zukunftsinvestitionsfonds Digitalisierung“ als Sondervermögen des Bundes vorgeschlagen, der etwa zehn Milliarden Euro aus öffentlichen Mitteln enthalten soll. So ließen sich große und langfristige Investitionsvorhaben in die Wege leiten und höhere private Folge-Investitionen mobilisieren. Das sind einige der Vorschläge.

„Wir brauchen eine neue Gründungsmentalität“

Am Puls der Zeit: Die Ministerin spricht per Video-Box auf der Fachmesse „Online Marketing Rockstars“ in Hamburg (Foto: dpa/Christian Charisius)

Trump twittert für Protektionismus, die Briten verlassen die EU und Martin Schulz fordert Gerechtigkeit für die hart arbeitende Mitte. Welche drängenden sozioökonomischen Probleme schaffen es Ihrer Meinung nach zurzeit nicht in die Schlagzeilen?
Zypries: Frauen sind in den Spitzenpositionen und auch als Gründerinnen und Unternehmerinnen noch immer unterrepräsentiert. Das ist für mich nicht in erster Linie eine Frage von Gerechtigkeit, sondern von vertanen Chancen für unsere Wirtschaft. Wenn nur annähernd so viele Frauen wie Männer gründen würden, wäre dies ein riesiger Schub für unsere Wirtschaft. Ich treffe als Wirtschaftsministerin viele starke Frauen, die Vorbilder sind für junge Mädchen in der Schule und für junge Gründerinnen. Wir wollen die Frauen in der Wirtschaft sichtbarer machen, damit mehr Frauen den Weg zum eigenen Unternehmen wagen. Unter #StarkeFrauenStarkeWirtschaft erzähle ich ihre Geschichten.

Was machen Taxi- und Lkw-Fahrer, wenn autonomes Fahren Standard wird? Was wird aus Krankenpflegern, wenn Roboter ihre Aufgaben übernehmen? Droht ein Heer von Digitalisierungs- Arbeitslosen?
Zypries: Die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt sind im Einzelnen heute noch nicht abzusehen. In diesem Zusammenhang werden die verschiedensten Szenarien diskutiert. Klar ist jedoch, dass ein „Entweder-oder-Denken“, wonach die Digitalisierung entweder massenhaft Arbeitsplätze vernichtet oder ausschließlich zum Motor neuer, attraktiver Beschäftigungsverhältnisse wird, zu kurz greift. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass durch Automatisierungsprozesse auf der einen Seite Arbeitsplätze verschwunden sind, aber dafür woanders neue Arbeitsplätze entstanden sind. So wird es auch bei der Digitalisierung sein. Industrie 4.0 bringt eine neue Arbeitswelt mit neuen Qualifikationsanforderungen. Diese Prozesse vollziehen sich aber nicht von heute auf morgen. Dabei ist es wichtig, dass wir die Menschen darauf vorbereiten und entsprechend qualifizieren, damit sie ihren Platz in der Arbeitswelt der Zukunft finden.

Stichwort deutsche Start-ups: Brauchen wir ein German Silicon Valley, und wie hilft die Bundesregierung dabei, die Start-up-Kultur zu befeuern?
Zypries: Wir brauchen nicht ein großes Valley, sondern viele kleine! Wir verfügen in Deutschland über eine Vielzahl erfolgreicher Innovationscluster und über eine Reihe starker digitaler Start-up-Hubs mit internationaler Ausstrahlung, wie Berlin, Hamburg, München, Frankfurt und Dresden. Wir brauchen aber auch insgesamt eine neue Gründungsmentalität. Viele gute Ideen werden am Ende nicht zu einem erfolgreichen Unternehmen. Das Wirtschaftsministerium unterstützt Start-ups bei der Finanzierung durch eine Vielzahl großer Förder- und Finanzierungsprogramme, wie etwa das EXISTProgramm, das bei Gründungen aus Hochschulen finanzielle Starthilfe gewährt. Mit dem INVESTProgramm wird der Einstieg von Business Angels, die nicht nur Kapital, sondern auch wertvolles Know-how einbringen, attraktiver gestaltet. Zudem wird Technologie-Unternehmen über den Hightech- Gründerfonds Risikokapital zur Verfügung gestellt.

Daimler, BMW, VW & Co. – die deutsche Automobilindustrie steht gut da und vor der Revolution des selbstfahrenden Autos. Bislang hat noch nie eine alte Industrie wie etwa die Pferde- und Droschkenwirtschaft solch einen Sprung in eine neue Zeit geschafft. Welche Chance haben wir gegen Giganten wie Google, Uber und Apple, die aus Blechlimousinen fahrende Rechner machen wollen?
Zypries: Die deutsche Automobilindustrie hat beste Chancen, die technologischen Veränderungen zu meistern. Deutsche Autobauer sind nach wie vor weltweit führend und verfügen über die Ingenieurkunst und die Erfahrung bei der Automobilproduktion, um auch das Auto der Zukunft zu bauen. In der Tat ist es jedoch eine Herausforderung, in einem wachsenden Markt vernetzter Mobilität als reine Fahrzeugzulieferer nicht in die zweite Reihe gedrängt zu werden. Die Elektromobilität entscheidet zusammen mit der Digitalisierung über die Zukunft des für Deutschland sehr wichtigen Industriezweiges. Die Politik muss den Rahmen schaffen, aber die Unternehmen müssen die notwendigen strategischen Entscheidungen im Konzern treffen und sich für die Zukunft positionieren.

„Entwicklung von künstlicher Intelligenz selbst gestalten“

Experten unter sich (v. l.): Brigitte Zypries, Japans Ministerpräsident Shinzo Abe, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (Foto: CeBIT/ Rainer Jensen)

In den USA wird das Thema „künstliche Intelligenz“ gehypt. Sprechende und lernende Maschinen ersetzen klassische Arbeitsplätze. Welche Herausforderung kommt da auf die Politik zu?
Zypries: Künstliche Intelligenz entwickelt sich zu einem zunehmend wichtigen Wirtschaftsfaktor. Zukünftige Anwendungen reichen von digitalen Assistenten, autonomen Fahrzeugen, digitalen Dolmetschern bis hin zu Servicerobotern. Dahinter stehen vielfach Chancen, unser alltägliches Leben zu erleichtern und Prozesse zu optimieren. Allerdings wird der Mensch mit seinen einzigartigen Eigenschaften wie Verständnis und Empathie in den meisten Bereichen auch in Zukunft nicht ersetzbar sein. Wichtig ist, dass wir bei der Erforschung und Entwicklung von künstlicher Intelligenz aktiv vorangehen, um den Prozess selbst gestalten zu können. Wir sind in Deutschland da bereits gut aufgestellt. Mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz haben wir bereits eine weltweit erstklassige Einrichtung.

US-Präsident Donald Trump steht für Protektionismus. Was droht aus Übersee?
Zypries: Die USA und Deutschland verbindet eine langjährige gute wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wir haben großes Interesse daran, weiter eng mit den USA zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig haben wir jeden Grund, selbstbewusst zu sein und für unsere Vorstellungen von offenen Volkswirtschaften sowie fairen und freien Handel einzutreten. Protektionismus macht alle ärmer. Die USA brauchen unsere Geräte und Dienstleistungen, um ihr Land zu re-industrialisieren. Deutschland ist der viertgrößte ausländische Investor und der fünftgrößte Handelspartner der USA. Unsere Unternehmen sind dort der drittgrößte ausländische Arbeitgeber.

Rücken jetzt andere Nationen wie Deutschland und Japan mit ihren Plänen zu neuen Freihandelsabkommen notwendigerweise näher zusammen?
Zypries: Unsere Unternehmen sind in der ganzen Welt erfolgreich. Rund zehn Prozent unserer Exporte gehen in die USA, 90 Prozent der Exporte aber in andere Länder. Unabhängig von der jeweiligen US-Regierung kooperieren wir mit vielen Handelspartnern weltweit. Deutschland und der EU sind die Beziehungen zu anderen Handelspartnern immer schon wichtig gewesen. Dazu gehört auch Japan. Derzeit verhandelt die Europäische Union daher ein Freihandelsabkommen mit Japan. Ein Abschluss zwischen diesen beiden großen Handelsblöcken wäre ein wichtiges Signal für freien Handel, für mehr Zusammenarbeit und gegen Abschottung.

Welche Rolle werden China und Indien spielen? Und was ist mit Russland?
Zypries: Wir haben die jüngsten chinesischen Bekenntnisse zu Freihandel und Gleichbehandlung von ausländischen Unternehmen in China positiv zur Kenntnis genommen. Wir hoffen, dass den Worten auch Taten folgen, und erwarten deshalb gute Fortschritte in den derzeit eher stockenden Verhandlungen über ein bilaterales Investitionsabkommen zwischen der EU und China. Sie sind ein „Lackmus- Test“ für die tatsächliche Marktöffnungsbereitschaft Chinas. Auch Indien ist – alleine wegen der Größe seines Marktes –, ein zunehmend wichtiger Partner für die EU. Die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland haben ein enormes Potenzial. Dieses Potenzial zu heben hängt nicht zuletzt von den politischen Rahmenbedingungen, insbesondere der uneingeschränkten Umsetzung der Minsk-Vereinbarung zum Konflikt in der Ukraine, ab.

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