IM FOKUS: DIE NEUEN SENIOREN

Die Babyboomer kommen in die Jahre. Clevere Unternehmer stellen sich jetzt auf die kaufkräftigen und technikaffinen „Neuen Senioren“ ein.

Neulich am Dortmunder Hauptbahnhof. Eine Studentin bietet einer Mittsechzigerin ihren Sitzplatz an. „Sie sind schon die Zweite heute – muss ich mir Sorgen machen?“, erwidert diese und lehnt dankend ab. Eine Situation, die bezeichnend ist für eine Entwicklung, die sich derzeit in Deutschland und vielen anderen Industrienationen vollzieht: Die Menschen werden immer älter, sind aber aktiver und gesünder als früher – und fühlen sich deutlich jünger.

Best Ager, Silver Surfer, Woopies oder die Generation 50 plus – für die „Neuen Senioren“ gibt es zahlreiche blumige Namen, die weder trennscharf verwendet werden noch für fest definierte Jahrgänge stehen. Eines haben aber alle gemeinsam: Sie sind eine attraktive Zielgruppe. „Viele verfügen über Vermögen und sind im Gegensatz zu ihren Eltern auch bereit, Geld auszugeben, um sich selbst etwas zu gönnen“, sagt Christoph Burmann, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen. Hinzu kommt, dass ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung immer größer wird. In den nächsten Jahren erreichen die ersten Babyboomer, also die Generation der geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1969, das Rentenalter. Im Jahr 2060 wird laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes jeder dritte Deutsche 65 Jahre oder älter sein.

Bisher schöpfen jedoch erstaunlich wenige Unternehmen dieses Potenzial aus. „Häufig führt ein hoher Kostendruck zu standardisierten Produkten, mit denen Senioren nichts anfangen können – zum Beispiel Fertiggerichte mit klein gedruckter Zubereitungsempfehlung“, kritisiert Burmann. Unternehmern falle es oft schwer, sich in ihre Kunden hineinzuversetzen.

Es gibt aber auch Pioniere, die früh erkannt haben, dass sich hier eine lukrative Marktlücke auftut. Professionelle Beratung bietet ihnen Mathias Knigge von grauwert, einem Büro für Inklusion und demografiefeste Lösungen in Hamburg. Der Ingenieur und Designer ist allerdings kein Fan von speziellen Produkten für Senioren. „Es gibt nur sehr wenige Menschen, die – zum Beispiel durch ein klobiges Handy mit großen Tasten – öffentlich zum Ausdruck bringen möchten, wie alt sie sind.“ Stattdessen proklamiert er „Produkte für alle“, wie etwa intuitiv zu bedienende Smartphones oder andere Geräte, die auch die Bedürfnisse älterer Nutzer berücksichtigen, ohne ihre Attraktivität einzubüßen. Auf ein Angebot, das dies ermöglichen soll, hat sich Exelonix aus Dresden spezialisiert. Das hauseigene Softwarepaket „Asina“ verpasst gängigen Android-Tablets eine übersichtliche Oberfläche mit großen Icons. Zur besseren Orientierung sind die Fenster und Reiter aller Apps gleich angeordnet. „Kommunikation mit der Familie – in der Regel das Hauptanliegen von älteren Menschen – ist über ein stark vereinfachtes E-Mail-Programm, aber auch per Skype oder WhatsApp möglich“, sagt Exelonix-Gründer Matthias Stege. Der Clou: Kinder oder Enkel der Nutzer können das Gerät aus der Ferne konfigurieren. Zudem ist im Preis ein telefonischer Support enthalten.

SENIORENWIRTSCHAFT 2.0

Während Exelonix vor allem Technikeinsteiger im Visier hat, konzentrieren sich andere Anbieter gezielt auf die sogenannten Silver Surfer – also Menschen ab 50, die regelmäßig online sind. Was die Zielgruppe für Unternehmen so attraktiv macht? „Im Gegensatz zu jungen Menschen ist bei der Generation 50 plus in puncto Onlinenutzung noch Luft nach oben“, sagt Mathias Knigge von grauwert.

Dieser Trend und die Tatsache, dass jeder dritte über 50-Jährige an einer Hörminderung leidet, brachte Marco Vietor und Paul Crusius auf ihre Geschäftsidee. Über ihr 2012 gegründetes Berliner Unternehmen audibene vertreiben sie Hörgeräte im Netz. Interessenten erhalten zunächst eine fachkundige Beratung am Telefon. Erst wenn es darum geht, ein neues Hörgerät anzupassen, ist der Besuch bei einem der 700 bundesweit vertretenen Partner-Akustiker notwendig. „Vielen Betroffenen fällt es schwer, ihre Hörprobleme zuzugeben“, sagt Vietor. „Der anonyme Zugang hilft dabei, diese Hemmschwellen abzubauen.“ Beim Marketing setzt audibene ausschließlich auf Online-Tools: Suchmaschinenoptimierung, E-MailNewsletter und Werbebanner, die potenzielle Kunden auf eine von 250 für die Zielgruppe optimierte Landing-Pages weiterleiten. Das Konzept geht offensichtlich auf: audibene verzeichnet bis zu 300 Prozent Wachstum pro Jahr und ist inzwischen in zehn Ländern präsent. 2015 kaufte der internationale Hörgerätehersteller Sivantos das einstige Start-up, das heute weltweit 400 Mitarbeiter beschäftigt.

VON PUNKS UND HIPPIES

Einer der erfahrensten Player in Sachen maßgeschneiderte Onlineangebote für Silver Surfer ist die Singlebörse 50plus-Treff. 2005 in München gestartet, zählt die Community inzwischen 380.000 Mitglieder in zehn Ländern und umfasst neben der Partnersuche auch zahlreiche Zusatzangebote, zum Beispiel Reisen und Gruppentreffen. Geschäftsführerin Marianna Exter beschreibt die User des Portals als junggeblieben, mobil und aktiv: „Sie reisen, machen Sport und checken ihre E-Mails mehrmals am Tag.“

Die Unternehmerin warnt davor, die Zielgruppe nur auf ihr Alter und damit verbundene Lebensstil-Klischees zu reduzieren. „Mit Senioren assoziiert man Kaffeefahrten, Treppenlifte und Dauerwellen“, sagt sie. „Heute ist dieser Begriff kaum noch anwendbar – schließlich waren viele aus der älteren Generation in den 70er-Jahren Hippies oder Punks.“

Einen etwas anderen Ansatz verfolgt das Berliner Start-up eleven 55. „Wir betreiben ein WG-Portal für Studenten und haben festgestellt, dass auch viele ältere Menschen auf der Suche nach passenden Mitbewohnern sind“, sagt Gründer Carsten Wagner. In Kooperation mit ImmobilienScout24 entstand so die Webseite senioren-wg-finden.de, auf der private und kommerzielle Nutzer kostenlos WG-Zimmer inserieren können. Bei der Namensgebung haben sich Wagner und seine Mitstreiterin Natascha Wegelin bewusst für die Bezeichnung „Senioren“ entschieden. „Das Wort ist für uns nicht negativ konnotiert – vielmehr drückt es Erfahrung und Weisheit aus“, sagt Wegelin.

GESUND DANK HIGH-TECH

Die zunehmende Technikaffinität der älteren Generation eröffnet auch dem Traditionsunternehmen Beurer aus Ulm neue Geschäftsfelder. Bekannt als Produzent klassischer Heizkissen, stellt es heute eine Reihe von High-Tech-Produkten her: von Blutdruckmessgeräten über Aktivitätssensoren bis hin zu dem Gesundheitsmanagement-System „Beurer HealthManager“, das Messwerte via Bluetooth empfängt, in einer App speichert und somit dem Anwender jederzeit und überall auf mobilen Geräten zur Verfügung stellt. „Es entwickelt sich ein veränderter Lebensstil“, sagt Georg Walkenbach, Geschäftsführer von Beurer. „Immer mehr Menschen sind bereit, ihr Geld in hochwertige Produkte zu investieren, die ihre Gesundheit und Aktivität steigern.“ Um diese anspruchsvolle Zielgruppe zu erreichen, vertraut Beurer auf einen Mix aus bewährten und neuen Marketingmaßnahmen. „Wir legen Wert auf die Unterstützung des Fachhandels, sind aber auch auf Youtube und Facebook vertreten und haben einen eigenen Online-Gesundheitsratgeber“, so Walkenbach. Start-up oder Traditionshaus – für alle gilt: Die „Neuen Senioren“ wollen authentisch angesprochen werden. Das betrifft auch Testimonials und Markenbotschafter. Diese sollten zwar attraktiv sein, aber bloß nicht zu jung. „Ideal ist ein Typ wie Meryl Streep“, sagt Wirtschaftsprofessor Burmann.

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