Exklusiv: Den Mutigen gehört die Welt

Möglichkeiten und Herausforderungen der Digitalisierung

Die politische Bühne hat Brigitte Zypries 2018 verlassen. Mit zentralen Themen aus ihrer Zeit als Bundesjustiz- und -wirtschaftsministerin befasst sie sich aber noch immer. Die neue Herausgeberin des DUB UNTERNEHMER-Magazins über Start-ups, digitale Transformation und Diversity.

Herausgeberin Brigitte Zypries und Ver­leger Jens de Buhr

Überreichen sich die unterschrie­benen Verträge: Herausgeberin Brigitte Zypries und Ver­leger Jens de Buhr (Foto: Frank Erpinar)

Sie hat eine gläserne Decke durchstoßen: ­Brigitte Zypries war 2017 die erste Frau an der Spitze des Bundeswirtschaftsministeriums. Zugleich war dies das letzte große Amt der SPD-Politikerin. Denn nach 20 Jahren in der Bundesregierung und zwölf Jahren im Bundestag beendete sie im Frühjahr 2018 ihre politische Laufbahn. Wer wissen will, was Zypries heute bewegt, muss nur durch ihre Twitter-Timeline oder ihr Facebook-Profil scrollen. Digitale Bildung, Industrie 4.0, Start-ups, Förderung von Frauen: In ihren Posts dominieren die Themen, die ihr schon in ihrer Zeit in der Bundespolitik am Herzen lagen. Ihr Know-how und ihr Netzwerk bringt sie nun als Heraus­geberin bei der publizistischen Ausrichtung des
DUB UNTERNEHMER-Magazins ein.

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Für Fortschritt muss die Infrastruktur stimmen. Welche Maßnahmen – abgesehen vom Aufbau eines 5G-Mobilfunknetzes – müssen in Deutschland dringend ergriffen werden?

Brigitte Zypries: Die 5G-Lizenzen werden jetzt erst versteigert. Bis 5G tatsächlich kommt, dauert es also noch sehr lange. Deshalb sollten wir nicht ­nachlassen, den Breitbandausbau voranzutreiben. Zudem müssen wir dafür sorgen, dass unsere Mittelständler wirklich verstehen, was Digitalisierung für ihr Unternehmen bedeutet. Dabei helfen zum Beispiel die deutschlandweit 25 Mittelstand-4.0-Kompetenzzentren.

Was empfinden Sie als förderlich oder auch als Hindernis bei der digitalen Transformation?

Zypries: Das Problem ist die Ungleichzeitigkeit, die wir aktuell haben. Auf der einen Seite gibt es mit dem Internet etwas, was sich ungeregelt entwickelt hat. Das ist völlig normal. Auch Fahrräder und Autos waren bereits unterwegs, ehe es die Straßenverkehrsordnung gab. In unregulierten Bereichen kann sich eine Technologie sehr gut entwickeln. Allerdings haben wir auf der anderen Seite Bereiche, die vonseiten des Gesetzgebers total durchreguliert sind. Da gibt es dann kaum Möglichkeiten, neue Geschäftsmodelle aufzusetzen.

Welche Bereiche betrifft das?

Zypries: Sehr schwierig ist das beispielsweise bei Lebensmitteln, insbesondere aber auch im Gesundheitsbereich. So darf man in Deutschland keine Fotos von Hautveränderungen machen, um sie durch Ärzte bewerten zu lassen. Deshalb bietet ein deutsches Start-up dies von London aus an. Oder nehmen Sie Drohnen: Das Darmstädter Start-up Wingcopter hat zusammen mit DHL seine Drohnen in Afrika erprobt.

Was kann die Politik gegen die Ungleichzeitigkeit tun?

Zypries: Der Staat muss zum einen das, was im Internet passiert, stärker regulieren. Dabei denke ich insbesondere an die großen Plattformen. Zum anderen müssen wir zu einer Deregulierung in den Bereichen kommen, in denen wir die Entwicklung von Geschäftsmodellen aktuell erschweren.

Das klingt nach einem Balanceakt ... Wo steht die deutsche Start-up-Szene im internationalen Vergleich?

Zypries: Deutschland ist ja traditionell ein Angestelltenmarkt. Und dafür stehen wir im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht dar. Wir haben gute, engagierte junge Leute. In der Logistik gibt es viele Start-ups. Und in der FinTech-Szene sind wir ziemlich gut vertreten. Ich würde mich freuen, wenn es mehr Gründungen im biochemischen Bereich gäbe. Das ist allerdings schwierig, da der Sektor stark reguliert ist.

Sie sind Schirmherrin des Bundesverbands Deutsche Startups. Dieser hat mit SUN ein Netzwerk für Jungunternehmerinnen. Wie erfolgreich sind Frauen als Gründerinnen, vor allem im Tech-Bereich?

Zypries: Dort liegt der Anteil der Gründerinnen bei knapp 15 Prozent. Das ist nicht sonderlich viel. Und das, obwohl wir seit vielen Jahren daran arbeiten, Mädchen für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik zu begeistern. Ich glaube, wir müssen dabei andere Geschichten erzählen. Wir müssen ihnen klarmachen, dass sie nach dem Informatikstudium keine Nerds sind, die mit Kopfhörern vor einem Bildschirm sitzen und nur in die Tasten hauen. Stattdessen können sie ihr Know-how nutzen, um Unternehmer bei der Transformation zu beraten.

Brauchen Frauen andere Frauen als Vorbild?

Zypries: Sie brauchen Mentoren. Ich selbst wurde von Gerhard Schröder gefördert. Aber je mehr ­Frauen oben ankommen, desto mehr sollten sie andere unter­stützen. Da gilt ein Spruch von Madeleine Albright: „Es ist ein besonderer Platz in der Hölle für die Frauen reserviert, die andere Frauen nicht fördern.“

Dauerthema Quoten

Als Bundeswirtschaftsministerin haben Sie das Manifest "#StarkeFrauenStarkeWirtschaft" veröffentlicht. Das Ziel: Frauen in der Wirtschaft sichtbarer machen. Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen?

Zypries: Als ich meine Verwaltungslaufbahn begon­nen habe, war ich oft die einzige Frau. Und leider muss ich sagen: Bei den höheren Positionen ist der öffentliche Dienst heute nicht besser als die Privatwirtschaft.

Der Frauenanteil in den Führungsetagen der Dax-, MDax- und SDax-Unternehmen ist mit 8,6 Prozent immer noch extrem niedrig.

Zypries: Es ist aber gut, dass wir 30 Prozent ­Frauen in Aufsichtsräten haben. Aufsichtsräte bestimmen Vorstände. Insofern hoffe ich, dass dies Auswirkungen hat. Und sonst gilt: Frauen müssen sich trauen, Mut haben, auch mal springen. Wie es bei Bertolt Brecht heißt: „Ein Teil jeden Talents besteht in der Courage.“

Und wie sieht es in der Politik aus?

Zypries: Besser als in der öffentlichen Verwaltung. Die SPD hat bereits 1988 eine verbindliche Frauenquote eingeführt. 40 Prozent der Spitzenpositionen in der Partei müssen mit Frauen besetzt sein.

Wir müssen also immer noch über Quoten sprechen?

Zypries: Ich wünschte, es wäre nicht so. Aber mit Blick auf Führungspositionen in der Verwaltung und Privatwirtschaft können wir das Thema noch nicht ruhen lassen. Auch in der Politik sehen wir ja aktuell mit der Diskussion um ein Paritätsgesetz für den Bundestag, dass Quoten gewollt sind. Allerdings ist Diversity nicht nur eine Frage des Geschlechts. Wir brauchen überall gemischte Teams: Jung und Alt, Menschen aus unterschiedlichen Nationen sowie Menschen mit und ohne Behinderung.

In Ihre Amtszeit als Bundesjustizministerin fiel die Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Jahr 2006. Wo stehen wir heute?

Zypries: Bewusstsein darüber zu schaffen, dass alle Menschen gleich sind, und Vorurteile abzubauen ist eine Daueraufgabe. Wir sehen das im Moment beispielsweise an zahlreichen antisemitischen Ausfällen in Deutschland. Aber Vorurteile gibt es nicht nur aufgrund der Reli­gion. Das Wohnen in bestimmten Vierteln oder der Name können dazu führen, dass man nur eingeschränkt einen Kredit bekommt. Es gibt so viele Dinge, die es durch das Gesetz eigentlich nicht geben dürfte. Man muss im Alltag wachsam sein.

Der Ökonom Carl Benedikt Frey glaubt, durch Digitalisierung verlören vor allem Männer ihre Arbeit. Laut Weltwirtschaftsforum sind aber primär die Stellen von Frauen in Gefahr. Wie beurteilen Sie das?

Zypries: Keiner weiß wirklich, wie viele Arbeitsplätze durch die Digitalisierung wegfallen. Wir wissen aus der Vergangenheit nur, dass jede Technologie die Sorge begründet hat, dass Arbeitsplätze verschwinden. Hinterher gab es allerdings immer mehr Jobs als vorher. Ob das jetzt auch so sein wird? Wer weiß. Wir können aktuell nur mit Sicherheit sagen, dass sich Arbeit verändern wird – beispielsweise durch Künstliche Intelligenz. Das wird sich sowohl auf den akademischen als auch den nicht akademischen Bereich auswirken. Und ich glaube, das wird Frauen und Männer gleichermaßen betreffen.

Wie muss sich Ausbildung ändern, um fit für die digitale Zukunft zu machen?

Zypries: Wir müssen Kindern und Jugendlichen das Programmieren beibringen. In Hamburg lernen sie das zum Beispiel an der Hacker School. Dieses Modell habe ich zusammen mit der Firma RatePay auch nach Berlin geholt. Ich hoffe, dass es nicht bei diesen privaten Initiativen bleibt. Schulen müssen endlich – auch mit den 5,5 Milliarden Euro, die der Bund zur Verfügung stellt – flächendeckend Angebote zur digitalen Bildung machen. Denn das Wichtigste ist, dass wir alle Kinder erreichen. Und nicht nur die, deren Eltern sich sowieso mehr um sie kümmern als andere.

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