Unternehmensnachfolge im Handwerk:

5 Gründe, spätestens mit 55 über die Übergabe des Lebenswerks nachzudenken


Vielleicht denken Sie noch gar nicht ans Aufhören. Vielleicht haben Sie auch schon kurz mit dem Gedanken gespielt, irgendwann ihren Betrieb an eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu übergeben, ihn aber dann wieder verworfen. „Es ist ja noch Zeit.“ Wirklich? In diesem Beitrag erfahren Sie 5 Gründe, warum es wichtig ist, sich so früh wie möglich mit dieser Frage zu befassen. 
Unternehmensnachfolge im Handwerk

Grund 1: Das Wettrennen um Nachfolger:innen hat begonnen

Jeder 4. Inhaber eines Handwerksbetriebs ist bereits über 60 und 1/3 der Betriebsinhaber:innen will den Betrieb in den nächsten 5 Jahren übergeben oder schließen (vgl. ZDH 2021). Insgesamt rechnet der ZDH mit 125.000 Betrieben, die in den kommenden 5 Jahren zur Übergabe anstehen.

Auf der Seite der potenziellen Nachfrager stehen lediglich 19534 Meisterabsolvierenden für alle Handwerke (vgl. ZDH 2022). D.h. selbst wenn alle Meisterabsolventen der nächsten 5 Jahre sofort in die Selbstständigkeit gingen, ergäbe sich schon eine Lücke. Die alle zwei Jahre durchgeführte Absolventenstudie des Forschungsinstituts für Berufsbildung im Handwerk zeigt jedoch verschärfend, dass gerade mal rund 30% innerhalb von 3-4 Jahren nach Abschluss überhaupt selbstständig werden (Rasch 2022). Hinzu kommt, dass die Mehrheit lieber neu gründet, als einen bestehenden Betrieb zu übernehmen. Das bedeutet im Klartext, dass künftig viele Betriebsinhaber um Nachfolger konkurrieren – genau wie momentan um Fachkräfte gerungen wird. Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass aus der Sicht der Betriebsinhaber das ‚Finden eines Nachfolgers‘ das größte Problem noch vor der Kaufpreisfindung und den steuerlichen Aspekten ist.

Betriebsinhaber ohne einen bereits feststehenden Nachfolger in der Familie, einen Käufer in der Mitarbeiterschaft oder einen externen Käufer sind daher gut beraten, sich frühzeitig strategische Gedanken zu ihrer Nachfolge zu machen – idealerweise mit Unterstützung.

Grund 2: Der Aufbau eines Nachfolgenden benötigt Zeit und besonderen Fokus

Nachfolgende können Familienangehörige, Mitarbeiter:innen oder externe Nachfolgende sein, die in das Unternehmen einsteigen. Wenn diese den Betrieb weiterführen sollen, wachsen sie idealerweise in die Rolle des Inhabers oder der Inhaberin hinein. Es findet also ein Entwicklungsprozess statt. Ein gelingender Entwicklungsprozess ist eine pädagogische Aufgabe und setzt voraus, dass man die Ausgangsbedingungen des zu Entwickelnden analysiert, versteht und darauf aufbauend einen Weg begleitet hin zum gewünschten Entwicklungstand.

Vielleicht ist es in Ihrem Betrieb gar nicht so einfach einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin zu finden, die in Ihre Fußstapfen treten kann. D.h. es kann sein, dass Sie einen Nachfolger von Grund auf ausbilden und weiterentwickeln müssen, bis er Ihnen als Nachfolger zur Verfügung stehen kann. Dabei liegen einige Unwägbarkeiten auf dem Weg, die durchaus zeitliche Schleifen oder einen Neubeginn erfordern. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin durchläuft zuerst verschiedene Karrierestufen, bis die Übernahme möglich ist (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Entscheidungsstationen auf dem Weg zur Selbstständigkeit

Hinzu kommt noch der Faktor Unternehmerpersönlichkeit. Die Erfahrungen aus Absolventenstudien und qualitativen Interviews zeigen, dass es drei Typen von Meisterabsolvent:innen mit Potenzial gibt:

o Entschlossene: Diese Gruppe ist frühzeitig entschlossen in die Selbstständigkeit zu gehen und benötigt vor allem die Unterstützung bei den Startproblemen.

o Unentschlossene: Sie schließen Selbstständigkeit nicht aus, aber haben gewichtige Gründe gegen die Selbstständigkeit (Einkommensunsicherheit, keine Work-Life-Balance), die man mit positivem Beispielen begegnen muss. Das bedeutet konkret, dass Sie diese nur dann überzeugen können, wenn Sie als Unternehmer:in vorleben, dass diese Bedenken bei Ihrem Betrieb nicht zutreffen.

o Unsichere: Diese Gruppe traut sich eine Selbstständigkeit mit den damit verbundenen Unwägbarkeiten und Verantwortung (noch) nicht zu. Es gibt aber viele Beispiele, in denen mache der anfänglich Unsicheren mit der Zeit in die Rolle hineingewachsen sind und dann zum bzw. zur Nachfolgenden wurden. Die Selektion und Entwicklung von Menschen braucht vor allem eines: Zeit.

Grund 3: Die Veränderung der Prozesse im Betrieb benötigt Zeit

In vielen Betrieben ist die betriebliche Wertschöpfungskette stark abhängig vom Inhaber. Es gibt teilweise weder klare Prozessbeschreibungen noch Stellenprofile und Strukturen. Das ist für eine Übergabe problematisch. Wenn das Know-how für die Leistungserstellung nur im Kopf des bisherigen Chefs liegt, die Kunden nur der Person des momentanen Chef vertrauen (Vertrieb) und möglicherweise auch alle weiteren Entscheidungen (z.B. Angebotserstellung, Bestellungen, Marketing) ausschließlich vom Chef getroffen werden können, dann ist der Betrieb nicht wirklich übergabefähig und für Nachfolgende attraktiv.

Strukturen zu gestalten, ggf. auch Führungsebenen zu installieren, Verantwortlichkeiten in Stellenprofilen festzulegen, klare Abläufe zu schaffen und Prozessanweisungen zu formulieren – all das sind Aufgaben, die ebenfalls Zeit benötigen. Sie sind auch damit verbunden, dass die Mitarbeitenden mitgenommen und weiterentwickelt werden, damit sie diese Verantwortung auch übernehmen können.

Grund 4: Die Veränderung des Betriebes führen zu mehr Zufriedenheit

Viele Betriebsinhaber:innen klagen darüber, dass sie zeitlich überlastet sind und keine Zeit für längere Urlaube, Familie und Freizeit haben. Strategische Fragen im Betrieb wie Mitarbeiterentwicklung, Digitalisierung und Innovation bleiben dann auch auf der Strecke. Genau diese Dinge anzugehen heißt, sich langfristig Freiräume zu schaffen. Das setzt voraus, dass Betriebsinhaber:innen sich von der besseren Fachkraft zum Unternehmer selbst weiterentwickeln. Das kommt einem Berufswechsel gleich. Dieser kann sich aber lohnen, weil: Wenn die Prozesse aufgebaut sind und die Mitarbeiter:innen so weiter entwickelt sind, dass sie Verantwortung übernehmen können, ergeben sich Freiräume für den Inhaber. Der Betrieb läuft dann auch ohne sie oder ihn. Das setzt allerdings voraus, dass eine Bereitschaft zum Wachstum gegeben ist. Denn: Als 1-Mann-Betrieb oder Kleinstbetrieb wird das nicht funktionieren, weil die eigene Arbeitskraft für die Leistungserstellung unentbehrlich ist. Mit angestellten 3 Mitarbeitenden macht sie 25%, bei 19 Mitarbeitenden gerade mal 5% an der gesamten Arbeitskraft des Betriebes aus.

Grund 5: Der Wert des Betriebes steigt

Zu guter Letzt zahlt sich diese Weiterentwicklung des Betriebes auch bei der Frage des Kaufpreises aus. Die Arbeitsgemeinschaft der Wert ermittelnden Betriebsberater im Handwerk berücksichtigen bei ihren Bewertungsmaßstäben insbesondere auch die Personenabhängigkeit und Beschäftigungsstruktur, die Betriebsausstattung bei der Risikobetrachtung. Je mehr also der Betrieb bereits ohne den Inhaber oder die Inhaberin läuft, desto eher kann man sich auch über Nachfrage und einen Kaufpreis entsprechend der eigenen Vorstellungen freuen.

Tipp: Die Betriebsberater:innen der Handwerkskammer stehen für die Frage der Ermittlung eines möglichen Preises unterstützend zur Seite.

Fazit und Aufruf

Viele Betriebsinhaber:innen wünschen sich eine Fortführung ihres Lebenswerks – sei es aus Stolz auf das Geleistete, sei es aus Verantwortung gegenüber den Mitarbeiter:innen oder aus Verantwortung den Kunden gegenüber. Damit dies gelingt, sollten Sie nicht warten, bis der Übergabezeitpunkt unmittelbar bevor steht. Sie brauchen eine klare Vision davon, für wen und in welchem Zustand Sie Ihr Lebenswerk – den Betrieb übergeben möchten, und Klarheit über den Umsetzungsplan.

Sie sind entweder Betriebsinhaber:in oder Betriebsübernehmer:in im Handwerk und möchten mit mir über ihre erfolgreich abgeschlossene oder noch laufende Übergabe/Übernahme sprechen?

Tatsächlich erforschen wir im FBH aktuell in einem Forschungsprojekt Übergabeprozesse und suchen Interviewpartner, die ihre individuellen Entwicklungsprozesse und Unterstützungsbedarfe in einem Gespräch reflektieren möchten. Melden Sie sich gerne unter rolf.rehbold@uni-koeln.de.

Quellen:
o Rasch, K.: Meisterabsolventenstudie 2021 - Ergebnisse aus vier Bundesländern. Aus der Reihe: Arbeitshefte zur berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung. Heft A56. Köln 2022.
o Rehbold, R. R.: Unternehmerin oder Unternehmer sein – Subjektive Vorstellungen über das Unternehmertum im Handwerk als Ausgangspunkt für Unterstützung und Förderung. In: Friedl, Gunther / Glasl, Markus / Tratt, Benedikt (2021): Selbstständigkeit im Handwerk, München 2021. Als Download auf den Seiten des Ludwig-Fröhler-Instituts unter: https://lfi-muenchen.de/wp-content/uploads/2021/11/Sammelband-Gemeinschaftsprojekt-Selbstaendigkeit-im-Handwerk_Friedl_Glasl_Tratt_LFI_Muenchen.pdf

o Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH 2021): Betriebsnachfolge im Handwerk. Ergebnisse einer Befragung von Handwerksbetrieben im dritten Quartal 2020. Berlin 2021.
o Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH 2022): Entwicklung der bestandenen Meisterprüfungsverfahren im Überblick. Online unter: https://www.zdh-statistik.de/application/index.php?mID=3&cID=866. Abruf am 5. Juli 2022. Berlin 2022.

Nach oben

Gastautor

Rolf R. Rehbold
Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk
Universität zu Köln (FBH)
& Gründer Klarheitswerkstatt

DUB-Themennewsletter ✉

Mit dem Themennewsletter der Deutschen Unternehmerbörse erhalten Sie alle wichtigen Informationen aus der Welt der Unternehmensnachfolge regelmäßig per E-Mail. Einmal pro Monat senden wir Ihnen Fachbeiträge, Informationen zu aktuellen Veranstaltungen sowie ausgewählte Verkaufs- und Franchiseangebote.

Jetzt abonnieren!