Insolvenzen steigen an – Was Geschäftsführer jetzt zu beachten haben!

Immer mehr Unternehmen müssen wieder Insolvenzanträge stellen. Die BRL Experten Björn Schwencke und Victor von dem Bussche zeigen in ihrem Beitrag auf, was Geschäftsführer jetzt wissen müssen.

Insolvenzen steigen an – Was Geschäftsführer jetzt zu beachten haben!

Laut Statistischem Bundesamt müssen wieder mehr Unternehmen Insolvenzantrag stellen.1   Im Vergleich zum Vormonat wurden im Februar 2023 über 10 % mehr Insolvenzanträge gestellt. Insgesamt geht die Anzahl der Insolvenzen nach den vielen Hilfsmaßnahmen und gesetzlichen Erleichterungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie wieder nach oben und nähert sich den Fallzahlen vor Corona.

Der Gesetzgeber hatte in 2020 zunächst die Insolvenzantragspflichten für Unternehmen aufgehoben, aber nur befristet bis Ende September 2020. Für den Antragsgrund der Überschuldung, insbesondere wenn eine verspätete Bearbeitung und Auszahlung der staatlichen Hilfsprogramme insolvenzauslösend war, hat er die Aussetzung sogar bis Ende April 2021 verlängert. Diese Eingriffe zur Abwendung einer coronabedingten Insolvenzwelle hatten Erfolg. Die Fallzahlen gingen deutlich zurück. Seit Mai 2021 sind die Insolvenzantragspflichten für Unternehmen zwar wieder scharf geschaltet. Dennoch blieb die Anzahl der Insolvenzanmeldungen zunächst niedrig. Günstige Zinsen und geringe Anforderungen bei der Kreditvergabe sorgten für die benötigte Liquidität vieler sanierungsbedürftiger Unternehmen. In einigen Fällen dürften die kurzfristigen Änderungen der ohnehin komplizierten gesetzlichen Regelungen aber auch zu Verwirrung oder gar einem falschen Sicherheitsgefühl geführt haben.

Doch die Explosion der Energiepreise, die erhöhte Nachfrage an Waren und Rohstoffen nach Ende der Lockdowns und die damit einhergehende Inflation sorgen nun dafür, dass Unternehmenskrisen wieder zunehmen. Liquiditätslücken können bei erheblich gestiegenen Zinsen und zunehmender Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe teilweise nicht refinanziert werden können. Stark betroffen sind etwa der Einzelhandel, dem der nachhaltige Verlust von Kunden an den Online-Handel weiterhin zusetzt, aber auch der Gesundheitssektor mit Krankenhäusern und Pflegeheimen.

Allerhöchste Zeit, sich in Erinnerung zu bringen, was es als Geschäftsführer zu beachten gilt.

Der Geschäftsführer ist gesetzlich verpflichtet, fortlaufend die wirtschaftliche Lage seines Unternehmens zu überwachen. In der Krise verschärfen sich diese Überwachungspflichten. Verschleppt er die Insolvenzantragstellung oder trifft er keine rechtzeitigen Maßnahmen zur Abwendung einer bevorstehenden Insolvenz, kann er persönlich haften und sich bei der Insolvenzverschleppung sogar strafbar machen. Insbesondere haftet der Geschäftsführer grundsätzlich für jede Zahlung, die nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist noch geleistet wird.

Die beiden Insolvenzantragsgründe, die der Geschäftsführer stets im Auge haben muss, sind die Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung.

Zahlungsunfähigkeit besteht, wenn man nicht mehr in der Lage ist, mit der vorhandenen Liquidität (gemeint ist damit nur das Geld, was sofort verfügbar ist, wie Bargeld und Kontoguthaben) seine Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu bezahlen. Die Prüfung erfolgt über einen Liquiditätsstatus, in dem zum betrachtenden Stichtag die vorhandene Liquidität und die fälligen Verbindlichkeiten gegenübergestellt werden. Ergibt sich eine Unterdeckung von 10 % oder mehr, sind die in den nächsten drei Wochen eingehende Liquidität und die in dieser Zeit fällig werdenden Verbindlichkeiten zu prognostizieren. Ist die Liquiditätslücke in der Prognose dann auch nach drei Wochen nicht beseitigt, ist man zahlungsunfähig und die Antragsfrist von drei Wochen läuft. Sollte die Zahlungsunfähigkeit sogar schon vor dem betrachteten Stichtag eingetreten sein, läuft die Antragsfrist bereits seit diesem Tag. Sie beginnt nicht erst bei der Entdeckung der Zahlungsunfähigkeit. Die Antragsfrist darf man nur auskosten, wenn man noch einen erfolgversprechenden Sanierungsversuch verfolgt; also etwa mit Finanzierern oder wesentlichen Lieferanten in Verhandlungen steht, um die Zahlungsfähigkeit durch frische Liquidität oder Stundungen von fälligen Verbindlichkeiten wiederherzustellen. Besteht keine Sanierungschance mehr, muss man sofort den Insolvenzantrag stellen.

Während die Zahlungsunfähigkeit dem Geschäftsführer selten verborgen bleibt, ist die Überschuldung deutlich schwieriger festzustellen.

Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist in den nächsten zwölf Monaten überwiegend wahrscheinlich.

Eine rechnerische Überschuldung muss über eine Bilanz auf Basis von Liquidationswerten geprüft werden. Das ist aber nur dann erforderlich, wenn die Fortbestehensprognose negativ ist. Die Prognose ist im Wesentlichen eine Liquiditätsprognose. Bleibt man in den nächsten zwölf Monaten überwiegend (d. h. mehr als 50 %) wahrscheinlich zahlungsfähig, ist die Prognose positiv und eine Überschuldung besteht nicht. Die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose ist damit nicht identisch mit der bilanzrechtlichen Fortführungsprognose (Going Concern), die grundsätzlich eine Fortführung unterstellt, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gründe entgegenstehen.

Da aber in diesen wirtschaftlich herausfordernden Zeiten eine Prognose über einen so langen Zeitraum oft kaum möglich ist, hat der Gesetzgeber für die Zeit vom 9. November 2022 bis 31. Dezember 2023 den Prognosezeitraum auf vier Monate verkürzt und die Antragsfrist bei Überschuldung auf acht Wochen verlängert.

Diese Erleichterungen sollen aber nur für die Unternehmen gelten, bei denen bei Inkrafttreten der Regelungen per 8. November 2022 eine Insolvenzantragsfrist noch nicht abgelaufen war. Wer also schon im Herbst 2022 in einer Krise war, bzw. Zweifel hatte, ob die Zahlungsfähigkeit für die nächsten zwölf Monate überwiegend wahrscheinlich war, sollte vorsichtshalber auch weiterhin seine Fortführungsprognose auf zwölf Monate ausrichten.

Doch wie kann man als Geschäftsführer sicherstellen und dokumentieren, dass man sorgfaltsgemäß handelt, Liquiditätslücken frühzeitig vorhersieht und im Worst Case rechtzeitig den Insolvenzantrag stellt?

Für jedes Unternehmen – ob groß, mittel oder klein – ist die Grundlage zur Prüfung der Insolvenzantragspflichten – ob Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – eine fortlaufende Liquiditätsplanung. Sie ist daher ein absolutes Muss für jeden Geschäftsführer.

Wenn man nicht bereits Schwierigkeiten hat, fällige Verbindlichkeiten fristgerecht zu zahlen und die Krise damit auf der Hand liegt, dient sie der kurz- und mittelfristigen Vorausschau, ob es in den kommenden Wochen oder Monaten eng werden könnte. Sie muss daher für einen überschaubaren Zeitraum wöchentlich die vorhandenen frei verfügbaren liquiden Mittel ausweisen. In der Praxis hat sich die sogenannte 13-Wochen-Planung als Standard durchgesetzt. Für diesen Zeitraum sind üblicherweise Zahlungsziele bereits vereinbart, Bestellungen getätigt oder Bedarfe zumindest erkennbar.

Wesentliche Grundlage für die Planung ist eine verlässliche betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA) sowie eine Übersicht über die bereits gebuchten Forderungen und Verbindlichkeiten mit deren Zahlungszielen und Fälligkeiten. Sie kann auch mit wenigen Schritten aus einer vielleicht vorhandenen Ertragsplanung abgeleitet werden.

Es ist daher – auch wegen der nicht vermeidbaren planerischen Unsicherheiten – besonders wichtig, eine zeitnahe und vollständige Buchung der Geschäftsvorfälle und damit eine verlässliche Ausgangsbasis sicherzustellen. Ein- und Ausgangsrechnungen müssen unverzüglich mit ihren konkreten Fälligkeiten und dem korrekten Umsatzsteuerschlüssel in der Buchhaltung erfasst werden. Die Geschäftsführung muss sich jederzeit durch standardmäßige oder sogar individualisierte Auswertungen ein Bild über die wesentlichen Finanzparameter machen können. Damit meinen wir nicht nützliche, aber oftmals überschätzte KPIs (Key Performance Indicators), sondern schlicht: liquide Mittel, Forderungsbestand sowie fällige und demnächst fällig werdende Verbindlichkeiten.

Für die Annahme einer positiven Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung reichen dreizehn Wochen allerdings nicht aus. Eine Verlängerung auf den bis 31. Dezember 2023 verkürzten Prognosezeitraum von vier Monaten ist noch unproblematisch. Annahmen über wöchentliche Zahlungsein- und -ausgänge in elf oder zwölf Monaten, also dem regelmäßigen Prognosezeitraum, sind in den meisten Fällen jedoch schwer zu treffen und dann oft lediglich scheingenau. Hier genügt es in der Praxis, die 13-Wochen-Planung um neun weitere Monatsscheiben mit realistischen Annahmen zu ergänzen. Dabei hilft ein Blick auf die monatlichen BWA der vergangenen ein oder zwei Jahre, die aktuelle Marktentwicklung sowie die Kenntnis über die wesentlichen operativen und finanziellen Maßnahmen in den kommenden Monaten. Darüber sollte jeder Geschäftsführer im Schlaf referieren können oder sich umgehend ein Bild machen.

Die Planungsunsicherheit kann man mit Szenarien eingrenzen und z. B. einen Best, Base und Worst Case entwickeln. Dafür ist es hilfreich, die zentralen Annahmen übersichtlich darzustellen und für jedes Szenario in unterschiedlicher Ausprägung zu definieren und zu erläutern. Dabei sollte für die Prüfung der Insolvenzantragspflicht zunächst stets auf das Worst-Case-Szenario abgestellt werden. Die Liquidität des Unternehmens ist laufend zu überwachen und die Liquiditätsplanung im Idealfall wöchentlich, bei sehr kritischer Lage auch in einem kürzeren Rhythmus zu aktualisieren.

Ist ein Insolvenzantrag trotz aller eingeleiteten Maßnahmen nicht mehr zu vermeiden, muss die Geschäftsführung in der Regel auch die Einhaltung ihrer Pflichten darlegen. Zu Beweiszwecken sollten daher jede Aktualisierung der Liquiditätsplanung und der zugrunde liegenden Annahmen, die laufende Interpretation der Ergebnisse und mögliche eingeleitete Maßnahmen zur Liquiditätssicherung dokumentiert werden.

Zur möglichst gerichtsfesten Dokumentation der Prüfungshandlungen, die für diesen Zweck in Anlehnung an den Prüfungsstandard IDW S 11 und der aktuellen BGH Rechtsprechung durchgeführt sein sollten, empfiehlt es sich, darüber ein belastbares Kurzgutachten von Restrukturierungsexperten einzuholen.

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Fußnoten

1 Siehe Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom 17. März 2023.

Gastautoren

Björn Schwencke
Björn Schwencke, LL.M.
Rechtsanwalt
BRL BOEGE ROHDE LUEBBEHUESEN

Victor Frhr. von dem Bussche
Victor Frhr. von dem Bussche
Diplom-Kaufmann (lic. oec. HSG), Steuerberater
BRL BOEGE ROHDE LUEBBEHUESEN

 

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